Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
Schränken alles, was du brauchst.“
„Und wo schläfst du?“
Christina lächelte, es sah fast ehrlich aus. „Auf dem Sofa. Widersprich bitte nicht, ich habe kein Problem damit. Ich würde ohnehin gerne noch etwas fernsehen. Außerdem wird er heute Nacht noch zurückkommen und neben dir liegen wollen.“
„Ich hoffe es“, flüsterte Joana. „Ich danke dir. Du bist wirklich sehr nett und …“ Sie musste heftig blinzeln. Rasch wandte sie sich um und lief, ihre Tasche über der Schulter tragend, die Treppen hoch. Sie knarrten unter ihren Schritten, fast wie die Holzstufen am Deich. Eine Träne stahl sich aus ihrem Auge und blieb in ihren Wimpern kleben, bis sie sie wegwischte.
Das Schlafzimmer stand offen, sie warf ihre Tasche neben das breite Bett, sich selbst darauf. Ihr Gewicht presste eine leichte Staubwolke aus der Tagesdecke, doch sie senkte das Gesicht hinein und weinte ein paar weitere Tränen aus Sorge und noch ein paar mehr aus Wut.
Wie konnte er nur? Sie wusste noch genau, wie leer sie gewesen war, als er ihre Gefühle an sich gerissen hatte. Jeder Gedanke daran ließ wieder die dünne Reifschicht um ihr Herz entstehen. Wie konnte Christina derart tapfer mit dieser schrecklichen, lebenslang schrecklichen, Situation umgehen? Wie konnte sie so weitermachen? Scheiß auf einen Mercedes und viel Kohle, sie selbst würde das nie ertragen.
Und warum, warum, warum, verdammt noch mal, fraß die Angst um den, der der jungen Frau das angetan hatte, noch viel schmerzhafter an ihren Eingeweiden?
„Weil ich dich liebe, du verdammtes Monster“, flüsterte sie in die Decken und suchte darin nach seinem Geruch. Doch da war nur Weichspüler und Staub.
Aus einem unsteten Halbschlaf schreckte Joana hoch, weil sie husten musste. Ein Blick auf das Handy: Es waren nur zwanzig Minuten vergangen und niemand hatte angerufen. Der Staub kratzte in ihren Atemwegen und nicht zum ersten Mal verfluchte sie sich für ihre empfindlichen Lungen. Sie hatte nicht fest geschlafen, und so war auch der Traum allenfalls ein Schatten seiner selbst gewesen. Nebulös, wie in Luft gezeichnet. Trotzdem konnte sie sich erinnern, vielleicht nur, weil das Szenario ihr so vertraut war.
Die Höhle, in der ihr Vater umgekommen war, als sein Freund einen Dämon entfesselt hatte. Etwas war diesmal anders gewesen. Der Traum hatte nicht mit dem Einsturz der Höhle geendet. Sie war noch dort geblieben, hatte keuchende Atemzüge und leiser werdendes Stöhnen vernommen. Und Verzweiflung gespürt. Oh Gott. Sie stellte sich vor, ihr Vater wäre damals nicht direkt gestorben. Wie lange konnte er dort noch ganz allein gelegen haben, zwischen kalten, feuchten Steinen?
Sie rappelte sich auf, schüttelte die Gedanken und den Traum ab und untersuchte den massiven Kleiderschrank, fand jedoch nur Handtücher, Bettwäsche und ein paar Männer-T-Shirts. Natürlich frisch gewaschen, ohne den Hauch eines tröstlichen Duftes. Joana wechselte ihr verknittertes Top trotzdem gegen eins davon aus. Im Haus war es ruhig geworden. Eine verstörende Ruhe, die sie die Treppe runterzog, Richtung Haustür. Vielleicht würde sie von unten einen Automotor hören. Oder das Kreischen des Tors, oder den Schlüssel im Schloss.
Die Treppe gab keinen Laut von sich, als sie herunterschlich; leise, um Christina nicht zu wecken. Sie schaltete keine Lampe an. Vor ihr fiel etwas Mondlicht durch das runde Glasfenster in der Haustür, das musste reichen. Am Fuß der Treppe war es natürlich noch ebenso still wie im ersten Stock und draußen war niemand. Zu ihrer Linken wartete die Tür zu seinem privaten Zimmer. Dort musste etwas von ihm sein, und wenn es nur ein Hinweis darauf war, womit er seine Zeit verbrachte. Wenn es wirklich niemand betreten durfte, hatte er es doch sicherlich abgeschlossen. Sie öffnete die Tür mit angehaltenem Atem. Verschlossen war sie nicht, aber sie ging schwer auf, eine Gummilippe streifte an ihrer Unterseite über den Boden. Joana tastete um die Ecke nach dem Lichtschalter.
„Oh Gott!“
Blut. Überall. Blut.
26
S
ie schnappte nach Luft und ein widerlicher Gestank von Verfall brannte sich in ihre Lungen; genauso tief, wie das Bild sich in ihren Kopf fraß. Helle Fliesen, über und über besudelt mit verwesendem, süßsauer stinkendem Blut. Teilweise noch feucht und rotbraun, anderenorts dunkelbraun oder schwarz verkrustet. Es klebte an den Wänden, wie von zerschnittenen Händen im Todeswahn hingeschmiert. Es war überall an der Innenseite der Tür,
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