Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
sehen.“
Lillian biss sich auf die Unterlippe.
„Ich kann jetzt nicht auf deine Inane warten, Lillian“, stellte Alexander barsch fest.
Ihre Inane?
Das war der Moment, in dem Nicholas eine erste Ahnung bekam, wie tief sein Karren im Dreck steckte. Lautlos formten seine Lippen einen Fluch. Er tastete in seiner Gesäßtasche nach dem Handy und schaltete es aus. Als er vom Tisch aufsah, fand er sich im Fokus von Alexanders scharfem Blick wieder.
„Was geht hier vor?“, fragte er fest.
„Verrat, mein Freund“, antwortete Alexander. „Du glaubst nicht, wie enttäuscht ich von dir bin.“
Jeder Versuch, den Dämon zu entfesseln, um sich zu verteidigen, kam zu spät. Alexanders Kraft lähmte ihn. Nicholas sah aus dem Augenwinkel, wie Matt aufsprang und den Arm hob. Das Blitzen einer Eisenstange. Wo hatte der Hund die versteckt gehabt? Zur Bewegungslosigkeit verdammt konnte er nur warten, bis der letzte Bruchteil dieser Sekunde verging. Er konnte Alexander noch einen zornerfüllten Blick zuwerfen. Im nächsten Augenblick hörte er den dumpfen Schlag, mit dem Metall auf seinem Schädelknochen aufschlug. Etwas zeitversetzt kam der reißende Schmerz. Ein breites Grinsen im Gesicht seines Gegenübers. Es wurde schwarz um ihn.
Jo … in Sicherheit …
Sein Geist verabschiedete sich, als er mit der Stirn auf den Tisch knallte.
Nicholas war noch keine zwanzig Minuten weg, als es an der Tür klingelte. Erleichtert, dass es so schnell gegangen war, öffnete Joana. Zu ihrem Erschrecken stand die junge Frau im Flur, die sie am Empfang so harsch abgewiesen hatte. Kurz überkam Joana die Angst, auch sie könnte ein Dämon sein. Doch als sie in das ausdruckslose Gesicht der Blonden sah, kam ihr eine ganz andere Vermutung. Es war leer. Entsetzlich leer. Eine Welle von Mitleid schwappte über Joana hinweg und ließ sie mit hängenden Schultern in der Tür stehen bleiben. Mitleid und Mitschuld. Sie liebte den Mann, der dieser Frau alles genommen hatte, was das Leben lebenswert macht. Sie hielt ihn nicht auf, obgleich genau das ihre Aufgabe war. Ihr Erbe.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie unsicher.
„Hallo, Frau Sievers. Entschuldigen Sie die späte Störung. Mein Name ist Christina Schuhmann, wir haben uns ja bereits kurz kennen gelernt. Herr Nyrr schickt mich. Erschrecken Sie nicht, aber Sie müssen sich eine Weile verstecken.“
Nicht zu erschrecken war eine sehr optimistische Anweisung, auch wenn die Frau mit noch so freundlicher Stimme sprach. Joana lehnte sich gegen den Türrahmen. „Wo ist Nicholas?“
In Christina Schumanns Gesicht zuckte es kurz. „Er wird aufgehalten, aber es ist alles in Ordnung. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß selbst nichts weiter. Es tut mir leid, aber wir sollten sofort los.“
Joana warf rasch ein paar Kleidungsstücke in ihre Adidas-Tasche. Außerdem stopfte sie Nicholas’ Schlüssel, ihren eigenen, das Mobiltelefon, sowie ihr Portmonee in die Beintaschen ihrer Cargohose. Auch das Asthmaspray gesellte sich dazu. Sie hatte den bösen Verdacht, dass sie es noch brauchen würde. Die Sorge schnürte ihr jetzt schon die Luft ab, deshalb hatte sie auch nichts dagegen, dass Frau Schuhmann fuhr.
„Sie hätten anrufen können“, meinte sie, als sie auf dem Beifahrersitz der schwarzen A-Klasse saß. Zumindest schien sie für eine Sekretärin überdurchschnittlich gut zu verdienen. Schicker Neuwagen, goldener Schmuck, Designerkleidung. Ob Nicholas dafür sorgte, dass sie zumindest alles hatte, was sie wollte? Ob er wollte, dass auch sie in Sicherheit war?
Verflucht. Jetzt suchte sie schon wieder den Gutmenschen in ihm, der er nicht war und nie sein würde.
„Es liegt abgelegen. Er fürchtet, dass Sie es allein nicht finden. Aber bitte, nennen Sie mich doch Christina.“ Schwang da Freundlichkeit in ihrer Stimme?
„Gerne, Christina. Ich bin Joana.“
Es fühlte sich seltsam an, angelächelt zu werden und zu wissen, dass nicht wirklich Gefühl hinter der Mimik lag. Andererseits, wie oft wurde man verlogen angegrinst? Wie oft lächelte sie selbst der reinen Höflichkeit halber?
Joana lehnte den Kopf ans Beifahrerfenster und konzentrierte sich auf Grübeleien, die nicht stark genug waren, um sie von der Angst abzulenken.
„Kann ich ihm gar nicht helfen?“, flüsterte sie irgendwann mit erstickter Stimme.
„Nein“, sagte Christina ruhig. „Das ist nicht nötig.“
Der Weg führte zunächst durch die Stadt nach Süden. Joana saugte die vertrauten Bilder in
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