Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
willst du dort?“
Welch herrliche Komposition aus Nervosität, Wut, ein wenig Angst und einem Hauch süßer Neugier. Aber da fehlte noch etwas.
„Keine Ahnung. Ich finde einfach, du solltest nach Hause fahren und dich umziehen. Du bist nass bis auf die Haut.“
Beim letzten Wort berührte er eine ihrer Haarsträhnen. Sie versteifte sich, trat aufs Gas und ließ das Tempolimit von dreißig Stundenkilometern weit hinter sich. Er wickelte ihr Haar um seinen Zeigefinger.
„Jetzt hör mir mal gut zu.“ Sie sprach durch die Zähne und drehte sich nicht um. „Behalte deine Griffel bei dir, wenn du nicht willst, dass ich augenblicklich mit deiner Visage auf den Alarmknopf haue.“
„Oh, gefährlich.“ Er nahm seine Hand zurück, nur um sich zwischen den Sitzen nach vorne zu beugen, sodass sein Gesicht nah an ihrem war. Ihr Haar roch nach Regen, Shampoo und etwas, das an Minze erinnerte. Der Duft weckte die Vorstellung in ihm, wie ihr Körper an anderen Stellen wohl riechen mochte. „Aber keine Sorge, ich tu schon nichts gegen deinen Willen.“
Ihre Miene blieb kalt, aber er spürte Hitze aufwallen. Die Frau nahm Fahrt auf. In mehrfacher Hinsicht, denn inzwischen fuhr sie über fünfzig.
Er flüsterte: „Ich mag es viel zu gern, wenn du … mich bittest.“
„Davon träumst du!“ Sie errötete heftig.
Er lachte und ließ seinen Atem dabei ihren Hals streifen, sodass sie schauderte. Zufrieden lehnte er sich im Sitz zurück. „Ich? Ich träume davon?“
Die Tachonadel erreichte die Sechzig. Sie nahm einem anderen Auto die Vorfahrt. Der Fahrer hupte. „Hab dich nicht so, du Sonntagsfahrer!“, fauchte sie.
Diesmal verbiss er sich das Lachen. „Nein, im Ernst“, sprach er ruhig weiter. „Ein Freund von mir wohnt zufällig in der Schleestraße.“
Joana fragte nicht, warum er klitschnass zu einem Freund fahren wollte. Vermutlich, weil sie wusste, dass es nicht stimmte. Sie fuhr jetzt etwas langsamer, bemühte sich um Fassung. Unauffällig öffnete er denobersten Knopf seines Hemdes. Seine Tätowierung wiederzusehen, würde sie ein weiteres Mal gehörig durcheinander bringen. Und seine sensible Seite kennen zu lernen sollte dem Ganzen ein glitzerndes Krönchen aufsetzen. Genau das hatte er vor. Ein königliches Chaos zu entfesseln.
Er konnte nicht … nein, er konnte doch unmöglich von ihrem Traum wissen. Joana umklammerte das Lenkrad so fest, dass sich jede Sehne unter der Haut an ihren Armen abzeichnete. Sie fühlte sich in ihrem eigenen Auto wie in einem Käfig. Einem Raubtierkäfig – und das Tier saß hinter ihr und malträtierte ihren Nacken mit Blicken, die sie wie tausend feine Nadelstiche spürte.
Krampfhaft darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, versuchte sie die Gedanken abzuschütteln, die sich ihr aufdrängten. Erdgeschosswohnung. Keine Alarmanlage. Altbau mit Fenstern, die sie manchmal zu schließen vergaß. Türen, deren Schlösser mit einem Dietrich sicher leicht zu knacken waren.
Ein Blitz teilte den Himmel und ließ sie zusammenfahren. Die Luft wurde ihr knapp. Wenn es nun kein Traum gewesen war? Was, wenn er ein Stalker war?
Nein. Sie schüttelte hektisch den Kopf, als könne sie sich damit selbst überzeugen. Das war unmöglich. Es war eindeutig ein Traum gewesen, schließlich konnte selbst er sich in der Realität wohl kaum in Luft auflösen.
Ihr Atem kam zu laut über ihre Lippen, fiel ihr mit jedem Zug schwerer. An der nächsten roten Ampel wühlte sie in ihrer Tasche nach dem Asthmaspray.
„Was regt dich so auf?“, fragte er und lehnte sich wieder vor. Seine Worte gingen im Prasseln des Regens fast unter.
Du. Aber das konnte sie ihm kaum sagen. „Nichts. Nur das … Gewitter.“ Das war gelogen, denn sie liebte extremes Wetter, allerdings war es eine gute Ausrede. Schließlich hatten viele Frauen Angst vor derartigem. Sie setzte den Inhalator an die Lippen, auch wenn sie es hasste, diese Schwäche vor ihm offenbaren zu müssen. Einen Asthmaanfall jedoch konnte sie noch viel weniger riskieren als etwas Schmach.
Als sie das Spray wieder in die Tasche steckte, streichelte er erneut ihre Haare. „Das stimmt nicht, Joana.“
Er hatte keine Frage gestellt, daher würde sie ihm nicht antworten. Nicht, solange das Zittern ihrer Stimme genau das preisgeben würde, was sie zu leugnen versuchte. Mit solch erbärmlichem Resultat. Warum hatte sie das Gefühl, er durchschaute sie mühelos? Sie fiel doch nicht wirklich auf eine derart billige Masche herein. Einen
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