Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
und konnte nur mit den Schultern zucken, weil er den Grund dafür selbst nicht vollends begriff. „Und ich dachte, du gehörst vielleicht nicht zu den Frauen, die auf rote Rosen stehen.“
Sie lächelte warm. „Du kennst mich. Du hast mir deine Vergangenheit geschenkt? Deine ersten Erinnerungen?“
Viel mehr. „Ich habe dir den Schlüssel zu einer Tür geschenkt, hinter der meine größte Angst gefangen ist. Vielleicht brauchst du ihn mal.“
Joanas Blick wurde ratlos. Es erleichterte ihn, dass sie vermutlich nicht ansatzweise verstand, was er ihr wirklich zu Füßen gelegt hatte. Die Vorstellung, welche Macht nun in ihren Händen lag, erregte ihn und jagte ihm gleichzeitig einen kalten Schauer über die Haut.
Ihr Gesicht verdunkelte sich. „Diese Frau, sie hat dich vollkommen ausgenutzt, oder? Sie war grausam.“
„Nicht aus meinem Blickwinkel, Joana. Alles was sie mit mir tat, war ihr gutes Recht, ob es mir nun gefiel oder nicht. Ich kann sie dafür hassen, aber nicht verurteilen.“
„Mein Gott, Nicholas“, schnaubte sie. „Sie hat ihren eigenen Sohn geopfert und …“
„Aus Angst, ihr eigenes Leben zu verwirken. Welches Leben ist mehr wert als das eigene? Oder wäre es besser gewesen, einer anderen Frau den Sohn zu nehmen? Nein, nur leichter.“
„Sie hätte überhaupt niemanden opfern dürfen.“
„Dann sollte ich deiner Meinung nach nicht hier sein?“
Sie presste die Lippen zusammen.
„Jo, wir alle betreten diese Welt blutverschmiert. Keiner von uns sucht es sich aus. Die Dunkelheit zu verurteilen ist leicht, gewiss. Aber sie hat nicht weniger Daseinsberechtigung als das Licht. Das sind Tatsachen, die keiner Verurteilung bedürfen.“
„Dann findest du es in Ordnung, was sie getan hat?“
„Ich bin der, der dafür geblutet hat. Aber auch der, der dadurch lebt. Sie hat mich in diese Welt gebeten. Kann ich ihr das vorwerfen? Es wird aus so viel nichtigeren Gründen und mit so viel feigerem Hintergrund getötet.“
Sie versteifte sich abrupt, suchte eine Weile nach Worten. Er ahnte, wo ihre Gedanken waren. In der Vergangenheit, in der sie in ihren Augen selbst getötet hatte. Ihr Körper lag neben ihm, aber ihre Seele suchte im Nichts nach ihrem Kind. Ihre Emotionen waren so stark, dass er kaum glauben konnte, wie leicht es ihm fiel, ihnen zu widerstehen. Wie schwer die Menschen doch an Moral und Schuld trugen. Nicht nur an ihrer eigenen.
Er streichelte ihre Wange und sie kehrte zu ihm zurück, schmiegte ihre Hand wieder an seine Brust. Die Berührung weckte Lust nach mehr, die in dieser Intensität für den Moment nicht anständig war.
„Sie hätte dich trotzdem nicht quälen dürfen“, beharrte Joana. Ihre Fingerspitzen streiften die Stelle, unter der sein Herz schlug.
Nicholas rollte sich auf die Seite, um sie besser ansehen zu können. Ihr Bademantel lag zusammengeknüllt am Fußende. Das Wissen, dass sich unter der Decke nichts als cremige Haut versteckte, war die wahre Qual und legte einen Schleier auf seine Stimme.
„Wir alle tun, wozu wir die Macht haben. Wenn jemand nicht quält, manipuliert und unterjocht, dann nur, weil er es nicht kann.“
„Das stimmt nicht.“
„Doch es stimmt. Glaube mir, ich habe viele gesehen, Menschen sowie meinesgleichen.“
Sie schob trotzig die Unterlippe vor und Feuer loderte in ihren Augen. Beides zusammen nahm ihm endgültig die Lust, weiterzureden.
„Vielleicht hast du sie zu einseitig gesehen.“
Darauf schwieg er, weil jeder spontane Widerspruch ihm unzulänglich erschienen wäre und er zum Nachdenken nicht mehr genug Blut im Hirn hatte. Vielleicht hatte sie auch recht.
Sie lächelte zufrieden, als er nichts entgegnete und fragte: „Kann es jeder? Mit dem Ritual, das sie vollführt hat, einen Dämon beschwören?“
„Es gibt nur ganz wenige, die das können.“ Er strich über ihren Oberarm. „Wir nennen sie Nekromanten. Es ist eine Art besonderes Talent.“ Der ihre Haut verhüllende Stoff verrutschte durch seine Hand. Unabsichtlich. „Die Rituale und Worte, die gesprochen werden“, ihr Dekolleté und der Ansatz ihrer Brüste lagen frei, „sind gleichgültig.“ Durch die dünne Bettdecke brannte die Wärme ihrer Haut in seinen Handflächen. „Die wenigsten, die diese Macht haben“, sie streichelte über seinen Bauch und er zog scharf Luft ein, „wissen selbst darum.“
Sein Atem ging schwer. Ihre Mundwinkel zuckten amüsiert. Sie leckte sich über die Unterlippe. Die kleine Geste berührte ihn fast körperlich.
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