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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Stelle, als Mollys Freund starb, haben sie ausnahmsweise mal keine Lacher vom Band
     eingespielt.«
    »Ach, natürlich. Er aß versehentlich eine Garnele.«
    |42| »War es eine Garnele? Die sollte man doch eigentlich erkennen.«
    »Vielleicht war es auch was anderes«, sagte ich. »Jedenfalls stirbt man auf der Stelle, wenn man so einen Anfall hat. Wenn
     Mercy allergisch auf das Haarspray reagiert hätte, wäre sie bei unserer Ankunft bereits tot gewesen.«
    »Wie auch immer, es ist einfach unfaßbar. Und so traurig.« »Hatte sie Kinder?«
    »Ich glaube nicht. Davon hat zumindest nie einer etwas erwähnt.«
    Wir schwiegen beide einen Moment und hingen unseren Gedanken nach.
    »Hast du irgendwas Spezielles vor heute?« fragte Schwesterherz.
    »Nein, ich wollte nur den Weihnachtsschmuck vom Dachboden holen.«
    »Dann laß uns doch Fay und May besuchen.« Die beiden eineiigen Zwillinge sind die heißgeliebten Sprößlinge von Mary Alices
     Tochter Debbie. Sie sind fast zwei Jahre alt, und ihre Großmutter ist ihnen absolut verfallen. Ich auch. Mary Alice sagt,
     ein Besuch bei den Kleinen wirke besser als jedes Antidepressivum. Sie hat sich sogar mit der Tatsache abgefunden, daß Debbie,
     eine erfolgreiche, alleinstehende Anwältin Mitte Dreißig, die Samenbank einem Ehemann vorgezogen hat.
    »Was ist mit Mrs.   Santa Claus, der Sexsklavin?«
    »O Gott, das habe ich ganz vergessen. Verdammt.«
    »Vielleicht könnte ich sie ja mitnehmen, dann sehen sie mal den Weihnachtsmann.«
    »Das würde sie total durcheinanderbringen.«
    »Der Weihnachtsmann bringt die Kinder immer durcheinander, das gehört doch dazu.«
    »Stimmt auch wieder. Ich kläre das mal mit Debbie und rufe dich zurück.«
    Ich holte die Zeitung aus der Küche und sah nach, ob etwas |43| über Mercys Tod darin stand. Nichts. Ich warf mich in meinen Jogginganzug, schnappte mir ein paar Hundekuchen und ging mit
     Woofer raus.
    Das Wetter schlug um. Die Kaltfront über dem Mittelwesten näherte sich mit großer Geschwindigkeit. Hochliegende Regenwolken
     vom Golfstrom verschleierten bereits die Sonne. Bei Anbruch der Nacht würden wir wahrscheinlich Gewitter bekommen.
    Ich spazierte dahin und dachte an die Party am Vorabend. Sie war so fröhlich gewesen, so passend zur Vorweihnachtszeit. Ich
     dachte an Claire Moon und wie sehr sie sich verändert hatte und an Thurman Beatty. Hatte er seine Frau sehr geliebt? War er
     vollkommen am Boden zerstört durch ihren Tod? Ich würde Bonnie Blue anrufen, wenn ich wieder zu Hause war, und hören, ob sie
     irgend etwas Näheres wußte.
    Und dann sah ich sie, die wundersame Sperrholzquelle! Ein Nachbar, der eine Krippe gebaut hatte, hatte die Überreste neben
     der Mülltonne gestapelt. Ich wickelte mir Woofers Leine um den Arm und griff mir ein paar Holzstücke. Die Weisen aus dem Morgenland
     waren von Sperrholz umgebene Leerräume. Ebenso die Krippe und Maria und Joseph. Es war ein wenig unheimlich, daß sie so deutlich
     erkennbar waren. Ein kleines weihnachtliches Zen des Krippenbauens.
    Es war so viel, daß ich zweimal gehen mußte. Abe Butler würde begeistert sein.
    »Wir sind noch nicht fertig mit unserem Spaziergang, alter Junge«, versicherte ich Woofer.
    Als wir zum Haus kamen, fing er an zu bellen. »Wir gehen noch mal zurück«, sagte ich, als er anfing an der Leine zu ziehen.
     »Laß mich nur das Sperrholz hier ablegen.«
    Ich hatte die Holzstücke vor der Nase und konnte daher die Hintertreppe nicht sehen. Als ich das Holz ablegte, fuhr ich erschrocken
     zusammen. Auf den Stufen saß etwas, das wie ein |44| völlig verdrecktes Kind aussah. Woofer bellte wie wahnsinnig, und ich zuckte zurück, als das Kind aufblickte.
    »Ich bin’s, Mrs.   Hollowell«, sagte Claire Moon. »Verzeihen Sie mir, aber ich habe sonst niemanden, zu dem ich gehen könnte.«
    Sie war ein einziges Häufchen Elend. Ihr Gesicht war mascaraverschmiert, das enganliegende graue Abendkleid, das sie am Vorabend
     getragen hatte, war zerrissen und fleckig, und sie versuchte ihre bloßen Füße mit dem langen Kleid zu verhüllen. »Verzeihen
     Sie mir«, sagte sie wieder und legte schluchzend den Kopf auf die Knie.
    »Mein Gott, Claire. Was ist denn passiert?« Ich ging auf sie zu und fiel dabei fast über Woofers Leine. »Warten Sie eine Sekunde.
     Ich bring’ ihn nur rasch zu seiner Hütte.« Ich schob den sich sträubenden Hund in seinen Auslauf, setzte mich neben Claire
     nieder und legte den Arm um sie.
    »Mir ist so kalt«,

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