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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wimmerte sie.
    »Haben Sie sich verletzt?«
    »Ich bin nur furchtbar müde, und mir ist kalt.«
    »Gut, dann lassen Sie uns reingehen, ins Warme. Meinen Sie, Sie können aufstehen?«
    »Ja.«
    Als ich ihr auf die Füße half, konnte ich spüren, wie sie durch und durch erschauerte. Eins nach dem anderen, dachte ich.
     Ich würde später herausfinden, was passiert war. Fürs erste mußte ich sie nach drinnen bekommen und zusehen, daß ihr wieder
     warm würde.
    Ich bin eine kleine Frau. Glücklicherweise war Claire noch ein bißchen kleiner als ich, vielleicht einen Meter zweiundfünfzig,
     allerdings gespenstisch dünn. Sie stützte sich schwer auf mich, als ich sie zum Sofa im Wohnzimmer führte und ihr eine Wolldecke
     überlegte. Ich holte das Heizkissen aus dem Schrank und schob es unter ihre Füße, die zerkratzt und schmutzig waren.
    |45| »Meinen Sie, Sie können einen Kaffee vertragen?« fragte ich.
    Sie nickte und machte die Augen zu. Die Lider unter ihren schwarzen Brauen hatten einen bläulichen Schimmer. Sie gehörte unter
     ärztliche Beobachtung, das wurde mir klar. Wir hatten es hier womöglich mit Schock oder Unterkühlung zu tun.
    »Keinen Arzt«, sagte sie, meine Unschlüssigkeit registrierend, »bitte keinen Arzt. Wenn ich den Kaffee getrunken habe, geht’s
     mir wieder gut.«
    »Ich denke, Sie benötigen Hilfe, Claire.« Ich strich ihr den Pony aus der Stirn.
    »Bitte, Mrs.   Hollowell.« Tränen rollten aus ihren geschlossenen Augen. »Bitte, ich fühle mich schon besser.«
    Das Zittern ihres Körpers strafte sie zwar Lügen, aber sie noch weiter nervös zu machen war auch nicht hilfreich.
    »Ich hole den Kaffee«, sagte ich.
    Sie seufzte tief. »Danke.«
    Als ich zurückkam, nach nur einer Minute oder zwei, schlief sie. Eine Sekunde lang war ich erschrocken. Sie lag genauso da,
     wie ich sie verlassen hatte, auf dem Rücken, die Decke über sich. Ihr Mund war leicht geöffnet, und Tränen rannen ihr nach
     wie vor über die Wangen, aber sie atmete tief, und das Zittern hatte nachgelassen.
    »Claire?« sagte ich leise. Ich wollte wissen, ob dies ein natürlicher Schlaf war.
    Sie murmelte vor sich hin und drehte sich zur Seite in eine Art Embryohaltung.
    »Claire?«
    »Nein, nicht!« sagte sie.
    »Was ist denn, Claire?«
    Sie murmelte wieder etwas und schob die Hand unters Kinn. Ich setzte mich hin und sah sie an. Ihr Atem wurde allmählich tiefer,
     und ich stellte fest, daß sie wohl einfach zu |46| Tode erschöpft war. Das beste, was ich tun konnte, war, sie in Ruhe schlafen zu lassen. Ihr schwarzes Haar fiel ihr über die
     Hand. Claire Moon, dachte ich. Schöne Claire Moon. Bist du in deinen Träumen immer noch Claire Needham?
    Ich schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und rief Schwesterherz an, um ihr zu sagen, daß ich nicht mit den Zwillingen zum
     Weihnachtsmann kommen konnte.
    »Claire Moon?« fragte sie, nachdem ich meine Erklärung abgegeben hatte. »Was fehlt ihr denn?«
    »Sie friert und ist erschöpft. Was dahintersteckt, weiß ich nicht.
    »Du hast sie nicht gefragt? Mein Gott, Patricia Anne.«
    »Ich hatte keine Gelegenheit dazu. Ein paar Minuten dachte ich, ich müßte den Notarzt rufen oder sie in die Notaufnahme fahren.«
    »Weiß sie von der Sache mit Mercy?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    Schwesterherz stöhnte laut. »Ich glaub’ es nicht. Ich rufe dich aus dem Einkaufszentrum noch mal an. Okay? Vielleicht weißt
     du ja dann was.«
    »Ich hänge das Telefon aus.«
    »Na prima, mach das, Miss IIG.«
    »Wie bitte?« sagte ich. »Miss was?« Aber Schwesterherz hatte schon aufgelegt. Ich war dicht dran, sie nochmals anzurufen,
     als mir einfiel, daß IIG für intuitiv, introvertiert und gefühlsbetont stand, drei Charakterzüge, die man bei Mary Alice vergeblich
     suchen konnte.
    Ich trank die Tasse Kaffee aus, die ich für Claire eingegossen hatte, und rief Bonnie Blue an. Ihr Bruder James nahm den Hörer
     ab und sagte, sie sei bereits zur Arbeit gegangen, der Laden würde den Dezember über früher öffnen. Ich fragte ihn, ob er
     von Mercy Armisteads Tod gehört habe, und er erwiderte, Thurman habe ihn angerufen. »Er ist ziemlich durch den Wind«, sagte
     er. »Ich gehe nachher hinüber.«
    |47| »Wußte man was von einem Herzproblem?«
    »Der gute Thurman ist derjenige, der Herzprobleme hat«, sagte James. »Deshalb mußte er auch aufhören mit dem Football. Irgendwie
     Ironie des Schicksals, oder?«
    Ich stimmte ihm zu. Dann fiel mir mein Sperrholzfund für Abe

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