Obduktion
respektlos sein könnte«, sagte James mit Nachdruck. »Lass uns zu unserer Diskussion zurückkehren. Wie sind wir von päpstlicher Unfehlbarkeit auf Sex gekommen?«
»Weil die Themen verwandt sind«, sagte Shawn und sah zu Jack hinüber, von dessen Schweigen er sich im Stich gelassen fühlte.
»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«, fragte James. »In der Moderne ist die Macht der päpstlichen Unfehlbarkeit nur zweimal genutzt worden, und in beiden Fällen hatte das nichts mit Moral oder Sexualität zu tun. Es ist schon seltsam, beide Male, sowohl 1854 als auch 1950, bezog es sich auf die Heilige Jungfrau Maria. Im Jahr 1854 verkündete Papst Pius IX. ex cathedra das Dogma von der unbefleckten Empfängnis. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung hat dieses Dogma nichts mit Marias Sohn in seiner Rolle als Jesus Christus zu tun, sondern mit Maria selbst. Sie ist, wie auch ihr Sohn, frei von der Erbsünde. Das zweite Mal war dann die Munificentissimus Deus von Papst Pius XII., die besagt, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgefahren ist. Was in aller Welt hat das denn mit Sex zu tun?«
»Es sind ja nicht diese beiden Fälle der päpstlichen Unfehlbarkeit, die das gegenwärtige Problem ausmachen. Fast alle Päpste haben durch die Jahrhunderte die Position vertreten, dass Sex etwas Böses ist. Ich glaube, Papst Gregor I. war der größte Übeltäter, er war derjenige, der gesagt hat, dass jegliches sexuelles Begehren an und für sich Sünde sei. Und nun, auf der Grundlage des Dogmas
von der päpstlichen Unfehlbarkeit, bekommen auch diese alten Positionen wieder eine neue Legitimation, zumindest aus päpstlicher Sicht. Ein neuer Papst kann doch nicht die Anschauungen eines seiner Vorgänger infrage stellen, ohne damit auch seine eigene Legitimation zu untergraben. Und bei der Haltung zum Thema Sex haben wir ja noch ein besonderes Problem, weil ein großer Teil der Laienbewegung eine neue, viel modernere Haltung zur Sexualität hat und sie nicht als Sünde, sondern als Erscheinungsform der Göttlichkeit ansieht. Das Sakrament der Ehe, die eine liebevolle sexuelle Verbindung fördert, ist heutzutage in den Augen vieler in ihrer Bedeutung gewachsen. Sexualität ist weit davon entfernt, eine Sünde zu sein, sie ist beides, eine Anerkennung und ein Geschenk von Gott. Ich glaube, die Kirche muss endlich diesen alten Reflex ablegen, Sexualität als Sünde zu sehen, und stattdessen anerkennen, dass Lust etwas Heiliges und gemeinsame Lust etwas Erstrebenswertes ist.«
»Es kommt mir so vor, als würdest du da eine sehr eigennützige Theologie rechtfertigen«, sagte James.
»Vielleicht«, stimmte Shawn zu, »aber ich sage dir, dies ergibt für mich als Individuum mehr Sinn als die Position der Kirche, und die sollte endlich anerkennen, dass die meisten Laien meiner Meinung sind.«
»Das ist ein Gedankensprung, den ich nicht akzeptieren kann, fürchte ich.«
»Ja, weil es für dich und die Kirche ein Risiko ist. Das Zölibat ist doch ein gutes Beispiel dafür. Wenn man das Zölibat zu einer persönlichen Entscheidung machen würde anstatt zu einer Vorgabe der Kirche, würde das sowohl das Problem des Missbrauchs lösen als auch das Problem des Priestermangels. Mach es zu einer persönlichen Entscheidung, und dann kann es so verrückte Priester wie dich geben und auch völlig normale Priester, die
ihren Schäfchen viel besser etwas über Heirat und Erziehungsfragen erzählen können, also über die Kernprobleme der meisten Menschen.«
»Shawn«, sagte James, »du bist völlig betrunken, deshalb sehe ich über deine Beleidigungen hinweg. Aber eins muss dir klar sein. Wenn du auf irgendeine Art publizierst, dass in dem Ossuarium die Gebeine der Heiligen Jungfrau lagen, dann verletzt du nicht nur mich, dann verletzt du Hunderttausende, besonders die armen, vom Elend bedrohten Menschen. Denk an die Christen in Südamerika, die nichts haben als ihren festen Glauben, der sich oft um die Figur der Jungfrau Maria rankt, die sie als das absolute Sinnbild von Glauben und Spiritualität ansehen. Shawn, tu es nicht, vor allem nicht, weil das alles doch nur deinen persönlichen, prahlerischen Zielen dient.«
»Prahlerische Ziele?«, schrie Shawn. »Glaubst du denn wirklich, dass du der Einzige bist, der hier eine Mission hat? Ach, du kannst mich mal! Dieses Ossuarium ist mir aus heiterem Himmel in den Schoß gefallen. Woher willst du wissen, dass Gott mich nicht selbst dafür ausgesucht hat? Weil er weiß, dass ich jemand
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