Obduktion
Tisch ab, holte einige Holzscheite und legte sie auf die glühenden Kohlen. Er gab James den Brandy, nach dem er gefragt hatte, füllte dann Jacks Weinglas und schließlich sein eigenes.
»Wie herrlich«, ließ Shawn verlauten, nachdem er endlich saß. Er starrte in das leise knisternde Feuer. Abgesehen davon, dass sich der Ball in seiner Spielhälfte befand und er James noch eine Antwort schuldete, war er sehr zufrieden. Dank Jacks Warnung am Abend zuvor in seinem Büro hatte Shawn genug Zeit zum Nachdenken gehabt, und er hatte beschlossen, dass die Sache mit dem Ossuarium viel zu wichtig war, um sie aufzuschieben. Selbst wenn die Kirche dumm genug war, sich ins
eigene Fleisch zu schneiden, und einen ihrer besten und fähigsten Männer für etwas bestrafen würde, das ganz offensichtlich nicht seine Schuld war. Shawn war fest entschlossen, sich nicht davon abbringen zu lassen, egal, wie sehr James ihn auch anflehen würde.
»James«, sagte Shawn und trank einen Schluck Wein, »glaubst du wirklich, dass der Papst dich für etwas bestrafen würde, was nicht dein Fehler war? Ich meine, ich werde selbstverständlich die volle Verantwortung für mein Handeln übernehmen.«
»Ich glaube, dass die Chance sehr groß ist, ja.«
»Ah«, seufzte Shawn und war zufrieden, dass James’ angeblich unmittelbar bevorstehende Verbannung sich innerhalb von fünf Minuten von »einer sicheren Sache« auf eine »Chance« reduziert hatte. »Ich glaube zwar, dass die Kirche ziemlich merkwürdige Entscheidungen trifft – wie zum Beispiel das Verbot von Kondomen, obwohl man in Afrika durch Kondome das Massensterben an AIDS verhindern könnte –, aber ich glaube nicht, dass sie dumm genug sein wird, deine Karriere zu beenden, nur weil ich eine Grenze überschritten habe.«
»Ich glaube, dass ich mich mit den Mechanismen der Kirche besser auskenne als du.«
»Mag sein, aber das ist meine Meinung. Und du wirst mich nicht dazu bringen, ein Projekt, das für mich so enorm viel bedeutet, in den Sand zu setzen. Aus meiner Sicht ist es eine gute und keine negative Sache, eine Herausforderung an das päpstliche Unfehlbarkeitsdogma zu publizieren, vor allem weil der Unfehlbarkeitsanspruch sich nicht mehr auf das Gebiet der Moral beschränkt. Lassen wir mal das geheime Wirken des Heiligen Geistes beiseite, es macht mich wahnsinnig, dass ein überzeugter Vertreter des Zölibats die moralischen Regeln in Bezug auf Sex und Ehe diktiert und dabei von sich behauptet,
er sei unfehlbar. Das alles steht im Widerspruch zur menschlichen Intuition und zum menschlichen Wissen. Und wenn man den sensus fidelium berücksichtigt, den du eben selbst ins Spiel gebracht hast, dann hadern Kirche, Papst und die katholische Laienbewegung bei dem Thema Sex seit Jahren miteinander, wenn nicht schon seit Generationen.«
»Und ich nehme mal an, jemand wie du wäre ein besserer Schiedsrichter in Sachen Sexualmoral?«, warf James hochmütig ein. Er wusste, dass sein alter Freund angeheitert war.
»Ich wäre bestimmt populärer als der augenblickliche Schiedsrichter«, entgegnete Shawn. »Wie kommt es eigentlich, dass die katholische Kirche und vor allem die amerikanische katholische Kirche in Sachen Sexualität so borniert ist?«
»Die christliche Kirche fühlte schon in ihren frühen Tagen, dass Heirat und Sexualität die wirkliche Vereinigung mit Jesus Christus blockieren können. Das ist ja auch einer der Gründe, warum das Zölibat bei den Priestern eingeführt wurde. Ich lebe nun all diese Jahre zölibatär, und dieses Opfer hat mich definitiv näher zu Gott gebracht, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.«
»Ich freue mich, dass du es so siehst, aber das wundert mich nicht, weil du sowieso verrückt bist. Denk nur daran, dass du Virginia Sorenson hättest haben können und sie hast abblitzen lassen. Mann, hatte die einen Arsch, was, Jack?«
»Sie war definitiv ein Hingucker«, sagte Jack, dem völlig klar war, in welcher mentalen Verfassung sich Shawn befand. »Und sie war klug und sehr liebenswert dazu.«
»Du hast dich immer sehr bedeckt gehalten über Virginia«, fuhr Shawn weiter beleidigend fort. »Hast du sie nun damals am Besuchswochenende gevögelt oder nicht?
Du hast jetzt die einmalige Chance, es deinen Kumpels anzuvertrauen. Du darfst nicht vergessen, dass wir dich angefeuert und extra zu diesem Zweck das Zimmer geräumt haben, damit ihr ungestört sein konntet.«
»Ich werde mich nicht in eine Unterhaltung ziehen lassen, die Virginia gegenüber
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