Obduktion
zunehmenden Alkoholkonsum aufgeregt, aber das war heute Abend anders. Eigentlich wollte sie, dass er so viel trank, wie er wollte, damit er sich früh zurückziehen würde. So wie auch schon an den beiden vorangegangenen Abenden freute sie sich darauf, Zeit mit Luke zu verbringen, ohne dass Shawn sie stören würde und ohne Lukes Versuche, das zusehends explosiver werdende Streitthema anzuschneiden, was er ungeachtet von Shawns immer missmutigeren Reaktionen beharrlich tat.
Auch für Jack waren es zwei gute Tage gewesen, hauptsächlich weil sie für JJ und Laurie gut gewesen waren. Als Jack am Montag nach Hause gekommen war, hatte ihm Laurie berichtet, dass es JJ so gut gegangen sei wie schon seit Monaten nicht, und er habe überhaupt nicht geweint. Für diesen Abend erwartete Jack eine ähnliche Geschichte, weil Laurie ihn bereits nachmittags um drei Uhr angerufen und mitgeteilt hatte, dass sich alles so anließ wie tags zuvor.
Er nahm zwei Treppenstufen auf einmal und streckte den Kopf in die Küche. Wie er vermutet hatte, war Laurie mit den Essensvorbereitungen beschäftigt und JJ spielte zufrieden im Laufgitter. Jack ging schnell zu Laurie, küsste sie auf den Nacken und schaute dann zu JJ. Zu Jacks Entzücken lächelte der Junge.
»Ich glaube, er lässt uns heute mal ein richtiges Abendessen genießen«, erklärte Laurie.
»Großartig«, entgegnete Jack. »Willst du ihn vorher füttern und ins Bett bringen?«
»So jedenfalls lautet der Plan.«
»Wenn er so ruhig ist, würde ich gern noch für eine Stunde oder so zum Basketball gehen.«
»Ja, das ist eine gute Idee«, antwortete Laurie und fuhr mit einem Zwinkern fort: »Pass nur auf, dass du nicht zu müde wirst.«
Jack lächelte bei dem Gedanken daran, was sie für den Abend noch im Sinn haben mochte, und vergeudete keine Zeit, sondern schlüpfte schnell in seine Basketballklamotten und sprang wieder die Treppe hinunter. Jack versuchte, seine Aufregung angesichts JJs Wohlbefinden der letzten zwei Tage im Griff zu behalten und sich gegen zukünftige, vielleicht größere Enttäuschungen zu wappnen. Das war allerdings nicht einfach, denn es lief gerade alles sehr gut. Am Morgen zuvor war er noch einmal zu Bingham gegangen und hatte ihn um ein paar freie Tage gebeten, nicht weil er nicht ins Büro kommen wollte, sondern um vorübergehend keine Autopsien machen zu müssen. Wie versprochen stimmte Bingham sofort zu und bat Jack nur noch um die Akte des Mordfalls, bei dem vergessen worden war, die Hände des Opfers einzutüten. Jack war froh, ihm sagen zu können, dass er den Fall bereits abgeschlossen und den Papierkram vollständig erledigt hatte.
Von zusätzlichen Autopsien freigestellt, konnte Jack den größten Teil der zwei vergangenen Tage mit Shawn und Sana verbringen, die mit ihrer Arbeit gut vorankamen. Sana rechnete damit, schon am nächsten Tag mit der Sequenzierung der mitochondrialen DNA beginnen zu können. Jack und James versprachen sich davon Rückschlüsse auf die Herkunft der Knochen. Entweder waren sie aus dem Nahen Osten und könnten in diesem Fall nach wie vor von der Jungfrau Maria stammen, oder sie kamen aus Rom, wo sie schlussendlich auch begraben
worden waren, und dann wären es nicht die Gebeine Marias. Als Jack über die Straße lief und das Spielfeld betrat, empfand er es als eine Ironie des Schicksals, dass es JJ ausgerechnet jetzt besser ging als seit über einem Monat – gerade jetzt, wo Jack endlich die perfekte Ablenkung gefunden hatte. Er überlegte, ob man JJs Fortschritte zum Anlass nehmen sollte, seine Antikörper gegen das Mäuseprotein zu testen, damit man die Behandlung wieder aufnehmen konnte.
Luke fand das Abendessen genauso delikat wie das am Abend zuvor und so anders als alles, woran er gewöhnt war, dass ihm die Worte fehlten, es zu beschreiben. Leider war auch Shawn unverändert. Er hatte es kategorisch abgelehnt, über die Jungfrau Maria und die Sache mit dem Ossuarium zu reden, und sich nach einem Scotch und dem Wein zum Abendessen betrunken in sein Zimmer verzogen – angeblich nur für ein kleines Nickerchen. Kurz nach neun hatten Sana und Luke den Abwasch beendet. Als sie mit Wein und Cola ins Wohnzimmer gingen, um das Feuer wieder zu entfachen, war Shawn immer noch nicht wieder aufgetaucht.
»Ich glaube, ich sehe mal nach Shawn«, sagte Sana und stellte ihren Wein zur Seite.
»Es wird ihm schon gut gehen«, protestierte Luke, der es vorzog, den betrunkenen und frustrierten Mann an diesem Abend nicht
Weitere Kostenlose Bücher