Obduktion
warum?«
»Der Auslöser war der Tod meiner Mutter«, erklärte Luke, »aber der eigentliche Grund war eine schwere Kindheit, dominiert von meinem gottlosen Vater. Meine Eltern passten überhaupt nicht zusammen. Er war ein Säufer und schlug seine Frau; sie war sehr religiös und glaubte ernsthaft, dass sie die Schuld für das Verhalten meines Vaters trug und nicht er. Sie glaubte, wie Eva auch, dass sie sich durch die Heirat mit meinem Vater von Gott abgewandt hatte, und hielt sich für eine solche
Sünderin, dass sie behauptete, ich sei in Sünde auf die Welt gekommen. Sie war so sehr davon überzeugt, dass sie mir erzählte, ich müsse zur Jungfrau beten und mein Leben ihr, Christus und der Kirche widmen, wenn ich meine sterbliche Seele retten wollte.«
»Mein Gott«, sagte Sana, die starkes Mitgefühl für Luke und seine Geschichte empfand. Obwohl es kaum vergleichbar war, hatte auch sie unter dem frühzeitigen Tod ihres Vaters sehr gelitten. Er starb, als sie acht war, und sie fragte sich heute manchmal, ob das nicht einer der Gründe für ihre Heirat mit Shawn war. Schon seit ihrer ersten Begegnung war er für sie so etwas wie eine Vaterfigur, die sie so sehr vermisst hatte. »Hat die Kirche dir geholfen?«, fragte sie.
Luke gab ein kurzes, verächtliches Lachen von sich. »Wohl kaum«, sagte er. »Einer der Priester hatte schnell erkannt, dass ich ein gestörtes Kind war, und da er nicht weniger gestört war, zog er über ein Jahr lang seinen Nutzen daraus.«
»Guter Gott, nein!«, sagte Sana bestürzt, die nun noch mehr Mitleid mit Luke hatte. Mühsam unterdrückte sie den starken Drang, für einen Moment ihren Arm um ihn zu legen, aus Angst vor seiner Reaktion. Er könnte ihre Geste missverstehen und mehr als nur Mitgefühl darin sehen. Immerhin war er kein Kind mehr, sondern ein Mann. Außerdem hatte sein Vortrag etwas sehr Einstudiertes.
»Zuerst dachte ich, das wäre völlig normal«, sagte Luke wehmütig, »vor allem, weil ich dachte, dass ich diese Person liebe. Aber mit dem Älterwerden kam auch die Erkenntnis, dass es falsch war. Da ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte, und der Priester in seiner Gemeinde besonders beliebt war, nahm ich all meinen Mut zusammen und erzählte meiner Mutter davon.«
»Hat sie es verstanden?«, fragte Sana besorgt, welche Wendung die Geschichte nun nehmen würde.
»Ganz im Gegenteil. Genau wie bei ihrer wirren Vorstellung, es sei ihre Schuld, dass mein Vater sie misshandelt hatte, war sie auch hier steif und fest davon überzeugt, ich hätte den Priester verführt und nicht andersherum. Vor allem nachdem ich auf ihre Frage, warum ich so lange mitgemacht hatte, gestehen musste, dass es mir gefallen hatte, zumindest am Anfang. Erst in den letzten Jahren und durch die Hilfe der anderen Brüder des Klosters habe ich verstanden, was damals wirklich passiert war und dass ich weder für die verbotene Beziehung zu meinem Priester noch für den Selbstmord meiner Mutter verantwortlich war.«
»Oh großer Gott im Himmel!«, rief Sana, als das überwältigende Mitgefühl ihre Voreingenommenheit verblassen ließ und sich ihr Eindruck, dass Lukes Geschichte nichts weiter als ein einstudiertes Drehbuch war, in Luft aufgelöst hatte. Ohne sich etwas dabei zu denken, legte sie in einer mitfühlenden Geste ihre Arme um Luke. Als sie seinen starren Widerstand wahrnahm, ließ sie ihn schnell wieder los. »Was für eine tragische Geschichte«, sagte sie aus tiefstem Herzen. Sie sah ihn zärtlich an und wünschte, ihn von der Last seiner Schuldgefühle befreien zu können, auch wenn er sagte, dass seine Brüder das schon getan hätten. Außerdem verspürte Sana eine tiefe Wut auf die Kirche, die ihn missbraucht hatte, und verstand plötzlich auch Shawns ablehnende Haltung besser.
Kapitel 27
17:15 Uhr, Dienstag, 9. Dezember 2008 New York City
M ontag und Dienstag liefen für alle gut, außer für James, der an beiden Tagen morgens Anrufe von Luke entgegennahm, von denen keiner ermutigende Neuigkeiten brachte. Sobald Shawn und Sana zur Arbeit aufgebrochen waren, informierte Luke den Kardinal, dass der Teufel allen seinen Versuchen widerstand, Shawn umzustimmen. Luke musste sogar melden, dass Shawn sich inzwischen schon dem Versuch einer Diskussion darüber widersetzte. James reagierte, indem er Luke ermunterte, noch fester zu beten und nicht lockerzulassen, weil James und die Kirche darauf zählten, dass er Erfolg haben würde. Er behauptete, dass Hartnäckigkeit
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