Obduktion
und
folgte dann Sana die Treppe hinauf in die oberen Stockwerke. Sie gingen durch den zweiten Stock, wo Shawn schlief, wie Sana ihm erklärte, und den dritten, wo ihr eigenes Schlafzimmer war, bis hin zum vierten Obergeschoss. Es war ein Raum mit Dachfenstern, der nach vorne hinaus lag.
»Das ist dein Zimmer«, sagte Sana, trat zur Seite und ließ Luke den Raum betreten, der von einem Himmelbett beherrscht wurde. »Sieht es aus wie dein Zimmer im Kloster?«
»Das nicht gerade«, erwiderte Luke und warf einen Blick ins Badezimmer, das sowohl zu diesem als auch dem weiteren Gästezimmer auf der Etage gehörte. Dann ging er zu seinem Rollkoffer und öffnete den Reißverschluss des Deckels. Das Erste, was er herauszog, war eine kleine Plastikstatue der Jungfrau Maria, die er auf dem kleinen Beistelltisch aufbaute. Das Nächste war eine winzige puppenartige Figur des kleinen Jesuskindes, das ein kunstvolles Gewand und eine Krone trug. Behutsam platzierte er das Püppchen neben der Heiligen Jungfrau.
»Was ist das?«, fragte Sana.
»Das Prager Jesulein«, erklärte Luke. »Es war eins der Lieblingsstücke meiner Mutter, bevor sie starb.«
Als Nächstes zog Luke sein schwarzes Gewand heraus und hängte es in den Schrank.
»Trägst du das normalerweise?«, fragte Sana.
»Ja«, antwortete er, »aber der Kardinal dachte, es wäre besser, ich würde etwas unauffälligere Kleidung tragen. Glücklicherweise hat einer seiner Sekretäre etwa meine Größe.«
»Du kannst anziehen, was du möchtest«, sagte Sana. »In einer halben Stunde oder so werden wir zum Abendessen ausgehen. Du hast also noch Zeit zu duschen, wenn
du willst. Das werde ich jetzt auch tun. Ansonsten treffen wir uns gleich unten im Wohnzimmer.«
Kurz vor halb neun kehrten Shawn, Sana und Luke in einem Taxi zum Haus der Daughtrys zurück. Das Abendessen im Cipriani in der Innenstadt war einigermaßen gut gelaufen, bis Luke dann versucht hatte, die Unterhaltung auf das Thema seiner Mission zu lenken. Shawn, der zu diesem Zeitpunkt schon fast genauso viel getrunken hatte wie am Abend zuvor, nutzte die Gelegenheit, um Luke darüber zu informieren, dass eine unlösbare Aufgabe vor ihm stünde und dass es für alle Beteiligten besser wäre, wenn er das so bald wie möglich begreifen würde. Luke hatte aber nicht lockergelassen, sodass Shawn irgendwann wütend geworden und die Stimmung nach und nach auf den Nullpunkt gesunken war. Shawn hatte sich geweigert, überhaupt noch ein Wort mit Luke zu reden, und ihn die ganze Zeit nur abfällig »Junge« genannt.
»Gehst du gleich ins Bett?«, fragte Shawn Sana, um nicht mit Luke sprechen zu müssen.
»Ich glaube, ich werde noch eine Weile aufbleiben und mit Luke plaudern«, flüsterte Sana. »Ich möchte nicht, dass er James erzählt, wir hätten ihn nicht herzlich aufgenommen. «
»Gute Idee«, sagte Shawn, der für mehr Halt nach dem Treppengeländer tastete. »Um wie viel Uhr wollen wir morgen früh zum DNA-Labor fahren?«
»Wie wär’s mit kurz nach neun?«, sagte sie. »Dann habe ich genug Zeit, unserem Gast ein Frühstück zuzubereiten, was uns in seinem Bericht an James sicher noch ein paar Punkte bringt.«
»Noch eine gute Idee«, sagte Shawn mit schwerer Zunge. »Ich sehe dich morgen früh.«
Während Shawn langsam die Treppe hochstieg, wandte
sich Sana an Luke. »Wie wär’s mit einem gemütlichen Feuer im Kamin?«, schlug sie vor.
Luke zuckte die Achseln. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in den Genuss eines Kaminfeuers gekommen war. Und er konnte sich nicht wirklich entspannen angesichts des enttäuschenden Abends und der Aussicht, dass er den Teufel wahrscheinlich nicht würde besiegen können.
»Na los!«, sagte Sana ermutigend. »Lass uns das Feuer gemeinsam anmachen.«
Eine Viertelstunde später saßen die beiden auf der Couch und lauschten gebannt dem knisternden Feuer, das sich von dem Kleinholz aufwärts zu den gestapelten Holzscheiten hinarbeitete. Sana trank ein Glas Wein und Luke eine Cola. Es war Sana, die das Schweigen brach. »Der Erzbischof erzählte uns, du hättest kein einfaches Leben gehabt. Würde es dir etwas ausmachen, mir davon zu erzählen?«
»Ganz und gar nicht«, sagte Luke. »Es ist kein Geheimnis, und ich teile meine Geschichte mit allen, die sie hören möchten, denn sie ist eine Hommage an die Heilige Jungfrau.«
»Uns wurde erzählt, du seist mit achtzehn Jahren von zu Hause weggelaufen, um ins Kloster zu gehen. Darf ich fragen,
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