Obduktion
dieser Bereich des Grabes noch nie untersucht wurde; und zweitens muss das Team, das 1950 die letzte Ausgrabung durchgeführt hat, einen Tunnel gegraben haben, um in das Grab zu kommen. Der verläuft wahrscheinlich kapp unterhalb der Überreste Marias. Und das heißt, dass wir allerhöchstens ein paar Zentimeter Schutt abtragen müssen, und schon haben wir den Kasten gefunden.«
»Das klingt so einfach.«
»Das wird es auch sein, glaube ich. Kurz bevor du vorhin kamst, habe ich mit meiner Assistentin Claire Dupree in New York telefoniert. Sie wird meine Akte über das Petrusgrab bis morgen ins Hotel Hassler nach Rom schicken. Die Genehmigung der päpstlichen Kommission für religiöse Archäologie, die ich damals über James von Papst Johannes Paul II. bekommen habe, ist immer noch gültig. Und sie gewährt mir Zutritt zur Nekropole, der Totenstadt unter dem Petersdom. Die Akte enthält außerdem meinen Sicherheitsausweis für den Vatikan und, was am wichtigsten ist, den Schlüssel zum Ufficio
Scavi, dem Büro der Ausgrabungsstätte, der auch für die Grabungsstätte selbst passt.«
»Aber das ist doch schon fünf Jahre her.«
»Schon, aber es würde mich sehr wundern, wenn sie etwas geändert hätten. Es ist Vorteil und Nachteil zugleich, dass in Italien selten etwas geändert wird, zumindest nicht im bürokratischen Bereich.«
»Und was, wenn die Schlüssel nicht mehr passen? Oder die Genehmigung aufgehoben wurde?«
»Ich kann es mir wirklich nicht vorstellen, aber sollte das der Fall sein, werden wir uns darum kümmern, wenn es so weit ist. Wenn alle Stricke reißen, rufe ich James an. Er wird das für uns arrangieren. Es dauert dann eben nur länger.«
»Du glaubst allen Ernstes, dass James das tun würde, nachdem er Saturninus’ Brief gelesen hat – was er mit Sicherheit verlangen wird. Ich denke nicht. Aber angenommen wir kämen rein und würden den Knochenkasten finden. Was um Himmels willen hast du dann damit vor?«
»Ich würde ihn heimlich nach New York bringen. Ich will nichts überstürzen mit diesem Glücksfund. Wenn ich damit an die Öffentlichkeit gehe, möchte ich die Knochen bereits ausführlich analysiert und alle Schriften, vor allem das Simon-Evangelium, komplett übersetzt haben.«
»Es ist illegal, antike Funde aus Italien auszuführen.«
Shawn sah seine Frau ein wenig irritiert an. Seit dem vergangenen Jahr hatte sie nicht nur eine Art Unabhängigkeitstick entwickelt, sondern auch diese nervige Tendenz zum negativen Denken. Das war wieder einmal ein Beispiel dafür. Auf der anderen Seite hatte er in seinem Enthusiasmus ja wirklich das ein oder andere »klitzekleine« Detail weggelassen. Wie zum Beispiel sollte er den Fund nach New York bekommen? Niemand wusste
so gut wie er, dass Italien seine antiken Schätze besser denn je bewachte und nicht wollte, dass sie aus dem Land geschmuggelt wurden.
»Ich werde das verdammte Ding vom Vatikan aus schicken, nicht aus Italien«, entschied Shawn spontan.
»Wieso sollte es vom Vatikan aus anders sein? Es muss so oder so durch den Zoll.«
»Ich werde es als ›Privateigentum‹ an James schicken. Ich muss ihn dann nur vorher anrufen und ihm sagen, dass er eine Überraschung von mir bekommt, was ja nicht gelogen ist, und ihn bitten, das Paket nicht zu öffnen, ehe ich bei ihm bin.«
Sana nickte. Darauf wäre sie nicht gekommen, und sie musste zugeben, dass es so funktionieren könnte.
»Ich gebe schließlich alles zurück, wenn ich mit den Untersuchungen fertig bin«, versuchte Shawn sich zu rechtfertigen.
»Würde man dir nicht erlauben, im Vatikan daran zu arbeiten? Warum solltest du es überhaupt nach New York schleppen?«
»Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher«, sagte Shawn, ohne zu zögern. »Außerdem würden sich zahlreiche Leute daran beteiligen wollen und mir das Rampenlicht stehlen. Und ganz ehrlich, das will ich nicht. Ich würde zwar unter Beschuss geraten, weil ich etwas aus der Totenstadt des Vatikans genommen und nach New York geschmuggelt habe, aber am Ende wird das Positive überwiegen, da bin ich sicher. Um ihnen das Geschäft ein wenig zu versüßen, können sie von mir aus sogar den Kodex und Saturninus’ Brief haben. Sie können ihn dann behalten oder nach Ägypten zurück schicken. Das bleibt ihnen überlassen.«
»Mein Gefühl sagt mir, dass die katholische Kirche diese ganze Angelegenheit überhaupt nicht gut finden wird.«
»Sie wird sich wohl damit abfinden müssen«, bemerkte er mit einem abfälligen
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