Obduktion

Lächeln.
    »Eine Institution wie die Kirche findet sich nicht mal eben mit so was ab. Die katholische Kirche geht davon aus, dass Marias Körper, so wie auch der ihres Sohnes, komplett mit Knochen und allem direkt in den Himmel aufstieg, da Maria durch die unbefleckte Empfängnis ohne Sünde war.« Bis zu ihrem achten Lebensjahr, als ihr Vater starb, war Sana katholisch erzogen worden. Danach im anglikanischen Glauben ihrer Mutter.
    »Na ja, es wird dann ihr Problem sein, sich darum zu kümmern«, fügte Shawn mit einem leichten Lächeln hinzu.
    »Ich würde das nicht auf die leichte Schulter nehmen«, gab Sana zu bedenken.
    »Das tue ich auch nicht«, entgegnete Shawn entschieden und fügte etwas gefasster hinzu: »Aber ich werde es genießen. Du hast recht damit, dass Marias Knochen nicht auf der Erde sein können. Aber dieses Dogma ist für die katholische Kirche relativ neu. Über Jahrhunderte vermied die Kirche das Thema einfach und ließ die Menschen glauben, was sie glauben wollten. Erst 1950 verkündete Papst Pius der XII. ex cathedra, dass Maria auch körperlich in den Himmel aufgefahren war, und berief sich dabei auf seine päpstliche Unfehlbarkeit, die, wie du weißt, meiner Meinung nach völliger Unsinn ist. Die katholische Kirche will beides. Sie schwört auf eine göttliche Grundlage für die Unfehlbarkeit des Papstes in kirchlichen Angelegenheiten und für ihre Moralauffassungen, die über die Päpste in direkter Linie zu Petrus und damit letztlich zu Jesus selbst zurückreicht. Dann, im gleichen Atemzug, ächtet sie einige ihrer mittelalterlichen Päpste als nur menschlich und fehlbar.«
    »Beruhige dich, Shawn!«, bat Sana, nachdem Shawns
Stimme langsam immer lauter geworden war. »Wir führen hier ein Gespräch und keine Debatte.«
    »Entschuldige bitte. Ich bin schon so nervös, seit Rahul den Kodex in meine Hände legte.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Sana. »Lass mich noch etwas anderes zu Saturninus’ Brief fragen. Was genau, glaubst du, haben sie mit ›versiegelt‹ gemeint?«
    »Aus dem Stegreif würde ich sagen: Wachs. Ein Begräbnis bedeutete zur damaligen Zeit, den Leichnam für etwa ein Jahr in ein Höhlengrab zu legen, um danach die Knochen wieder einzusammeln und sie in eine Kalksteinkiste zu packen, die sie ›Ossuarium‹ nannten. Wenn der Zerfall zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig war, würde die Kiste zum Himmel stinken, wenn sie nicht versiegelt war. Um das zu verhindern, benutzten sie zur Versiegelung eine Art Wachs.«
    »Saturninus behauptet, dass Marias Körper in eine Höhle in Qumran gelegt wurde. Wie trocken ist es da?«
    »Sehr trocken!«
    »Und wie trocken ist es in der Totenstadt unter dem Petersdom?«
    »Das variiert, manchmal ist es sogar relativ feucht. Worüber denkst du nach?«
    »Ich überlege gerade, in welchem Zustand sich die Knochen befinden, wenn das Ossuarium noch versiegelt ist. Wenn die Feuchtigkeit von ihnen ferngehalten werden konnte, könnte ich vielleicht in der Lage sein, noch ein paar DNA-Spuren zu finden.«
    Shawn grinste. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. DNA zu bekommen, könnte dieser Geschichte eine ganz andere Dimension verleihen. Der Vatikan könnte sich eine goldene Nase verdienen mit einem ›Bibel-Land‹, für das er, angefangen mit Maria, einige Personen von damals wieder auferstehen lässt. Ähnlich wie Jurassic Park.«
    »Ich meine es ernst«, sagte Sana leicht verärgert, weil sie sich von Shawn veralbert fühlte. »Ich rede nicht von Kern-DNA. Ich rede von meinem Fachgebiet: der mitochondrialen DNA.«
    Shawn riss seine Hände hoch, als würde er sich ergeben. »Ich weiß, dass du mir das schon öfter erklärt hast, aber ich kann mich nicht mehr an den Unterschied zwischen den beiden DNA-Typen erinnern.«
    »Kern-DNA befindet sich im Zellkern und enthält alle Informationen, die eine Zelle braucht, um eine bestimmte Rolle zu übernehmen, um zum Beispiel eine Herzzelle zu werden. Jede Zelle besitzt die vollständige DNA, nur die roten Blutkörperchen nicht, da sie keinen Kern haben. Dabei hat jede Zelle aber nur einen Chromosomensatz. Mitochondrien sind mikroskopisch kleine energiereiche Organellen. Am Anfang des Lebens auf der Erde verbanden sie sich mit primitiven Einzellern. Durch die Mitochondrien konnten sich die Einzeller im Laufe der Evolution zu Mehrzellern entwickeln, bis hin zum Menschen. Weil die Mitochondrien anfänglich eigenständige Lebewesen waren, haben sie ihre eigene DNA, die eine runde, ziemlich