Obduktion

war seine Frisur oder, um genau zu sein, das Fehlen derselben. Sein Haar war von mittlerer Länge, es war dunkel und glänzte wie dick mit Styling-Gel eingeschmiert – aber es war völlig ungekämmt. Ungeordnete Strähnen wucherten in allen möglichen und unmöglichen Richtungen von seinem Kopf.
    »Darf ich Ihnen einen meiner Kollegen vorstellen? Carl Fallon«, sagte Newhouse und zeigte auf den Mann auf dem Besucherstuhl.
    Als wäre das sein Stichwort gewesen sprang Fallon auf die Füße und schüttelte Jack die Hand mit einer beseelten Freude, die der von Newhouse in nichts nachstand. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, begrüßte er Jack. Er sammelte die Reste eines Pastrami-Sandwiches, eine halb aufgegessene Gewürzgurke und ein braunes Papiertütchen zusammen. »Wir sehen uns später«, sagte er zu Newhouse.
    »Ein Supertyp«, kommentierte Newhouse. Er wies auf den Stuhl, den Fallon freigemacht hatte. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Wie ich höre, interessieren Sie sich für Chiropraktik. Bevor die nächste Patientin an der Reihe ist, will ich Ihnen gern eine kleine Einführung geben. Aber bevor ich damit anfange – wie haben Sie mich gefunden? Über meine neue Website? Wir haben uns viel Mühe damit gegeben, und ich möchte gerne herausfinden, ob sie funktioniert.«
    »Sie sind mir empfohlen worden«, sagte Jack. Ihm war bewusst, dass er nicht ganz die Wahrheit sagte, aber er wollte sehen, wie sich die Dinge entwickelten.
    »Wunderbar«, strahlte Newhouse selbstgefällig. »Darf ich Sie fragen, wie der Patient heißt? Ich kann Ihnen gar
nicht sagen, wie schön es ist, Rückmeldungen von zufriedenen Patienten zu bekommen.«
    »Nichelle Barlow.«
    »Ah ja! Nichelle Barlow. Eine reizende junge Dame.«
    »Ich wüsste gern, welche Krankheiten Sie als Chiropraktiker behandeln können?«
    Newhouses Lächeln wurde breiter, und einen Moment lang schien es, als überlege er, wo er beginnen könnte. Jack fixierte unterdessen eine Buchreihe auf dem Fensterbrett direkt hinter ihm, die von zwei glänzenden Buchstützen aus Messing aufrecht gehalten wurden, welche die Form eines Äskulapstabes hatten. Die Buchtitel sprachen für sich: Eine Million Dollar jährlich und mehr – So baut man eine erfolgreiche Chiropraxis auf und Wie Sie mit einem E-Meter und angewandter Kinesiologie Ihre Praxisumsätze verdoppeln.
    Jack hatte irgendwann einmal etwas über E-Meter aufgeschnappt, die man als pseudowissenschaftlichen Hokuspokus bezeichnet hatte, nachdem ein paar dieser Geräte von der staatlichen Aufsichtsbehörde beschlagnahmt worden waren. Er hatte auch schon von angewandter Kinesiologie gehört, die nach Tests unter kontrollierten Bedingungen als medizinisch wertlos verworfen wurde.
    »Ich darf Ihnen versichern, dass ich in der Lage bin, durch chiropraktische Therapie so gut wie jedes bekannte Leiden zu behandeln. Aber ich muss fairerweise gleich einräumen, dass die Chiropraktik nicht jedes Leiden auch zu heilen vermag. Aber auf jeden Fall kann sie die Symptome der Krankheiten lindern, die sie nicht heilen kann.«
    »Wow!«, entgegnete Jack mit gespielter Ehrfurcht. Und tatsächlich beeindruckte ihn die schiere Unverfrorenheit der Aussage. »Schätzen alle Chiropraktiker die Möglichkeiten ihres Betätigungsfeldes so ein wie Sie?«
    »Mein Gott, nein«, sagte Newhouse mit einem Seufzer.
»Es gibt einige Abweichler, wenn man sie so nennen will, seit der große Begründer unserer Profession, Daniel David Palmer, die Technik im 19. Jahrhundert entdeckte und die Palmer School of Chiropractic in Davenport, Iowa, gründete.«
    »Davenport, Iowa«, wiederholte Jack. »Ist in Iowa nicht auch der Sitz der Transzendentalen Meditationsbewegung? «
    »Genau, so ist es. Aber in verschiedenen Städten. Die Maharishi University ist in Fairfield angesiedelt. Man könnte wohl behaupten, dass Iowa national das fruchtbarste Zentrum für die Entwicklung alternativer Medizin ist. Aber die wichtigste Entdeckung bleibt natürlich die chiropraktische Bewegung.«
    »Könnten Sie mir kurz umreißen, auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen die Heilkraft der chiropraktischen Therapie beruht?«
    »Sie basiert auf dem Fluss der immanenten Intelligenz , das ist so etwas wie Lebenskraft oder Lebensenergie.«
    »Immanente Intelligenz«, wiederholte Jack, um sicherzugehen, dass er richtig gehört hatte.
    »Genau«, sagte Newhouse und erhob die Hände mit nach außen gekehrten Handflächen und abgespreizten Fingern – wie ein Priester, der etwas Wichtiges