Obduktion
Sodbrennen. Ohne Dr. Newhouse wäre ich ein Wrack.«
»Miss Barlow«, begann Jack. Einen Moment lang überlegte er, wie er es formulieren sollte. »Ich bin neugierig, wie Ihr Chiropraktiker Ihren Stirnhöhlenkatarrh behandelt. «
»Indem er mich justiert. Meistens arbeitete er an meiner Halswirbelsäule, aber manchmal auch an meiner Lendenwirbelsäule. Eine meiner Hüften steht höher als die andere, und mein Rücken ist hinüber, aber es wird definitiv besser. Sie müssten mal die Veränderungen auf meinen Röntgenbildern sehen. Das ist wirklich beeindruckend.«
»Macht er oft Röntgenaufnahmen von Ihrer Wirbelsäule?
«, fragte Jack, den die Vorstellung erschreckte. Die erforderliche Strahlendosis für ein Röntgenbild der Wirbelsäule war nicht unerheblich.
»Fast jedes Mal, wenn ich ihn besuche«, antwortete Nichelle stolz, als würde sie denken, je mehr Röntgenbilder, desto besser. »Er ist wirklich sehr, sehr gründlich. Der beste Doktor, bei dem ich jemals war, ehrlich.«
Jack zuckte zusammen bei dieser glühenden Verehrung eines Menschen, der einer von zu starkem Bakterienwachstum verursachten Sinusitis mit potenziell gefährlichen Manipulationen der Halswirbelsäule und zusätzlicher unnötiger Röntgenstrahlung beizukommen versuchte. Selbst wenn er mit einem Digitalgerät röntgte, würden sich die Strahlungsdosen mit der Zeit addieren.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Miss Barlow«, sagte Jack, um der Versuchung zu entgehen, sich mit der Frau anzulegen. Wie eine scheinbar intelligente und gebildete Frau heutzutage so blauäugig sein konnte, war ihm ein Rätsel. Aber er wollte nicht darauf einsteigen.
Jack beendete das Gespräch ziemlich abrupt. Er wusste genau, hätte er es nicht getan, würde er Nichelle jetzt einen Vortrag darüber halten, dass sie dringend etwas mehr Gehirnschmalz für ihre Gesundheitsentscheidungen verwenden sollte. Anscheinend betrachtete sie ihren Chiropraktiker als Allgemeinmediziner. Ohne auch nur den Hörer aufzulegen, wählte er die Nummer von Ronald Newhouses Praxis. Auf halbem Wege hielt er jedoch inne, dann legte er den Hörer auf die Gabel. Er war noch immer aufgebracht und ihm war klar, dass er in diesem Zustand kein vernünftiges Gespräch führen konnte. Allein die Vorstellung, dieser Mann könnte ernsthaft glauben, dass eine Sinusitis durch Korrekturen der Wirbelsäule therapierbar sei, war ungeheuerlich. Der Mann musste ein wahrer Scharlatan sein.
Um sich wieder zu beruhigen, machte sich Jack daran, eine E-Mail an die mehr als dreißig Gerichtsmediziner in New York zu verfassen. Darin erkundigte er sich bei seinen Kollegen, ob auch sie schon Fälle von Vertebralisdissektionen gehabt hätten, ganz besonders solche, die durch einen Chiropraktiker ausgelöst worden waren. Er wollte seine Nachricht gerade abschicken, doch dann hielt er einen Moment inne und erweiterte seine Anfrage noch um andere Todesfälle, die infolge von Behandlungen mit alternativer Medizin aufgetreten waren, einschließlich Homöopathie, Akupunktur, traditioneller chinesischer Medizin und allen anderen derartigen Therapieformen.
Dann suchte er auf der Website von Barnes & Nobles nach Büchern zur Alternativmedizin und war erstaunt, wie viele Titel erhältlich waren. Als er sich die Beschreibungen durchlas, fiel ihm auf, dass es trotz des seiner Meinung nach durchaus wackeligen Unterbaus mancher Therapieform viel mehr Fürsprecher als Gegner zu geben schien. Seine Neugier wurde noch gesteigert, weil dies ausgerechnet zu einer Zeit stattfand, in der sich die Schulmedizin immer stärker auf die Erfolgs- und Wirkungskontrolle ihrer Therapien zubewegte.
Ein Titel fiel ihm besonders ins Auge: Gesund ohne Pillen – was kann die Alternativmedizin? Er rief bei einer Buchhandlung auf der West Side an und bat darum, ihm ein Exemplar zurückzulegen. Er war fest entschlossen, seiner peinlichen Unwissenheit über das Thema ein Ende zu machen.
Er fühlte sich jetzt wieder besser und machte sich daran, Ronald Newhouse anzurufen. Aber noch einmal hörte er mitten im Wählen auf und legte den Hörer zurück auf die Gabel. Er hatte unvermittelt beschlossen, dass eine Ortsbesichtigung durchaus angebracht war, obwohl er
sehr wohl wusste, dass Ortstermine der Rechtsmediziner bei der gegenwärtigen Leitung des Instituts sehr verpönt waren. Das OCME-Protokoll sah vor, Besuche vor Ort vom bestens ausgebildeten Team der rechtsmedizinischen Assistenten machen zu lassen, aber nicht vom untersuchenden Mediziner – es
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