Obduktion
entschuldigen, ich bin dagegen heute noch genauso immun wie damals. Also, AUC steht für ab urbe condita, und es bezieht sich auf das angenommene Datum der Gründung Roms. Mit anderen Worten, es ist eine Datierung, die zu dem Fund passt. Und wenn man das Datum mit dem Namen zusammenbringt, dann wird es äußerst prekär. Der Name lautet Maryam , in aramäischen Lettern geschrieben — auf Hebräisch Mariam, oder Maria, wie wir den Namen übersetzen.«
»Also ist Shawn davon überzeugt, dass dieses Ossuarium die Gebeine der Jungfrau Maria enthält, der Mutter von Jesus?«
»Ganz genau. Shawn ist ein extrem glaubwürdiger Zeuge und kann beweisen, dass dieses Ossuarium nicht mehr das Licht der Welt gesehen hat, seit es vor zweitausend Jahren vergraben wurde. Er fand es direkt neben dem Grab des heiligen Petrus. Außerdem ist das Ossuarium versiegelt. Ich kenne kein anderes Ossuarium, das versiegelt war.«
»Aber war Maria damals nicht ein weitverbreiteter Name? Warum glaubt er, diese Maria sei die Mutter von Jesus?«
»Weil Shawn einen authentischen Brief aus dem zweiten Jahrhundert entdeckt hat, in dem steht, das Ossuarium enthalte die Gebeine der Gottesmutter. Und es war dieser Brief, der Shawn den Weg zu den Gebeinen wies.«
Jack zog die Augenbrauen hoch. »Ich verstehe, was du meinst. Aber was ist mit dem Brief? Könnte der nicht gefälscht sein?«
»Obwohl es in gewisser Weise tautologisch ist, beweist der Fund des Ossuariums an dem vom Brief bezeichneten Ort die Echtheit des Briefes und umgekehrt. Beides sind so außergewöhnliche Funde, dass allein schon dieser Umstand die Öffentlichkeit davon überzeugen wird, dass
es sich bei den Knochen im Ossuarium um die Gebeine der Heiligen Mutter handelt.«
Jack dachte nach, während er sich mit einer Silberzange etwas von dem Gemüse nahm, das auf dem Tisch zum Verzehr bereitstand. Er konnte James’ Gedankengang nachvollziehen. Aber dann hatte er eine andere Idee. »Hast du den Brief gesehen?«
»Ja. Ich habe ihn gestern gesehen.«
»Wer hat ihn geschrieben?«
»Ein Bischof aus Antiochia namens Saturninus.«
»Von dem habe ich noch nie gehört.«
»Seine Existenz ist belegt. Er ist nicht sehr bekannt, aber es hat ihn gegeben.«
»An wen hat er geschrieben?«
»An einen anderen Bischof. Den Bischof von Alexandria namens Basilides.«
»Von dem habe ich auch noch nie gehört.«
»Weißt du irgendetwas über Gnostizismus?«
»Kann ich nicht gerade sagen. Damit haben wir im Leichenschauhaus nicht oft zu tun.«
»Davon bin ich überzeugt«, entgegnete James lachend. »Er galt im frühen Christentum als schwere Ketzerei, und Basilides war ein führender Kopf.«
»Könnte Saturninus einen Grund gehabt haben, Basilides anzulügen?«
»Schlauer Gedanke. Aber leider nicht.«
»Hat Saturninus tatsächlich zugegeben, das Ossuarium beigesetzt zu haben?«
»Mit Sicherheit.«
»Hat er geschrieben, wie er in den Besitz der Relikte gekommen war oder wer sie ihm gegeben hatte?«
»Das hat er, und du näherst dich jetzt ziemlich schlau dem schwächsten Punkt der Beweiskette, wenn ich das einmal so sagen darf. Weißt du, wer Simon Magus war?«
»Da hast du mich schon wieder erwischt. Ich habe keine Ahnung.«
»Er ist der Erzschurke im biblischen Neuen Testament. Ein echter Halunke, der versucht hat, dem heiligen Petrus seine Heilkräfte abzukaufen. Von ihm stammt das Wort Simonie ab.«
Jack lächelte innerlich bei dem Gedanken, dass Jesus der berühmteste Anbieter von Alternativmedizin war und der heilige Petrus der zweitberühmteste.
»Manche halten Simon Magus für einen der frühesten Gnostiker«, fuhr James fort. »Und Saturninus, der viel jünger war, arbeitete für ihn und half ihm bei seiner Zauberei. Also beruht der Beweis, ob es sich bei den Knochen im Ossuarium um die Gebeine der Heiligen Mutter handelt, letzten Endes auf Simon Magus, der von allen schlechten Zeugen vielleicht der berüchtigtste ist.«
»Es gibt noch eine andere Widerlegung«, sagte Jack. »Eine Methode, die auf direkterem Wege zum Ziel führt.«
»Und die wäre?«, erkundigte sich James neugierig.
»Lass einen Anthropologen die Knochen untersuchen. Zum einen, um herauszufinden ob es überhaupt Knochen sind, zum anderen, ob es sich um menschliche Knochen handelt. Wenn es menschliche Knochen sind, kann man prüfen, ob sie von einer Frau stammen, und falls das der Fall ist, kann man herausfinden, ob die Frau ein Kind geboren hat oder nicht. Wir wissen, dass Maria mindestens ein Kind
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