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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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vermute mal, eine Menge Leute wären enttäuscht. «
    »Das sagst du diplomatischer, als ich es von dir erwartet hätte.«
    »Ich habe mir auch bewusst jeden Sarkasmus verkniffen. «
    »Hat das damit zu tun, dass ich Kardinal bin?«
    »Sieht so aus.«
    »Schade, dass du so empfindest. Alte Freunde sollten sich so geben, wie sie sind.«
    »Vielleicht, wenn solche Treffen zur Gewohnheit werden. Wie auch immer, sag mir doch erst mal, was deiner Meinung nach passieren würde.«
    »Für die Kirche wäre es eine Katastrophe zu einer Zeit, in der sie es am wenigsten gebrauchen kann. Wir leiden noch immer unter den Folgen der priesterlichen Missbrauchsskandale. Für alle Beteiligten und für die Kirche selbst war das eine Tragödie. Und nichts anderes wäre auch die Annahme, die gesegnete Mutter Maria sei nicht mit Leib und Seele in den Himmel aufgefahren, wie es Papst Pius XII. 1950 ex cathedra in seiner Munificentissimus Deus verkündet hat. Diese ist die einzige
Glaubensüberzeugung, die überhaupt in dieser Form zum Dogma erklärt wurde, seit der Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit des ersten Vatikanischen Konzils am 18. Juli 1870. Shawns Behauptung, er habe die Gebeine der Allerheiligsten Muttergottes entdeckt, würde die Kirche fundamental bedrohen und ihre Autorität untergraben. Für eine solche Katastrophe gäbe es keinen Präzedenzfall.«
    »Wenn du es sagst«, bemerkte Jack, der beobachten konnte, wie James’ Gesicht immer heftiger errötete.
    »Es ist mir sehr ernst«, erklärte James, der fürchtete, Jack könnte die Tragweite seiner Worte nicht ganz erfassen. »Der Papst ist der direkte geistliche Nachfolger des heiligen Petrus. Wenn er ex cathedra zu Fragen des Glaubens oder der Moral spricht, offenbart sich dadurch der Heilige Geist in der Kirchengemeinde als sensus fidelium, der übereinstimmenden Überzeugung aller Gläubigen.«
    »Okay, okay«, stimmte Jack zu. »Wie ich es verstehe, würde Shawns Behauptung, Maria sei nicht — wie von der Kirche verkündet — in den Himmel aufgefahren, dem katholischen Glauben einen heftigen Schlag versetzen.«
    »Und es wäre ein verheerender Schlag für all jene, die Maria fast genauso verehren wie Jesus Christus. Du machst dir keine Vorstellung von ihrem Ansehen unter den katholischen Gläubigen, die sich in alle Winde zerstreuen würden, wenn es nach Shawn ginge.«
    »So weit kann ich dir folgen«, sagte Jack, dem nicht entging, dass sich James in eine leichte Hysterie hineinsteigerte.
    »Das darf ich nicht zulassen«, rief James aus und schlug mit der Hand so heftig auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte. »Das darf ich nicht zulassen, zum Wohl der Kirche und auch um meiner selbst willen.«

    Jack zog die Augenbrauen in die Höhe. Plötzlich sah er wieder seinen Kommilitonen aus dem Grundstudium vor sich, und ihm ging auf, dass es bei James’ Engagement und Sorge um mehr ging als nur das Wohl der Kirche. James verfügte auch über einiges politisches Gespür. Obwohl ihm Jack damals keine Chancen eingeräumt hätte, kandidierte er für den Vorsitz der Studentenschaft. Jack hatte James unterschätzt. Bei seinem angeborenen Instinkt für die Sorgen, die inneren Nöte und Empfindlichkeiten der Menschen und mit seinen Schmeichelkünsten war James in seinem Element. Überdies war er ehrgeizig, pragmatisch und durchtrieben. Jeder mochte ihn, und zu Jacks und Shawns Überraschung gewann er die Wahl. Jack hatte allen Grund zu der Annahme, dass ihm dieselben Qualitäten auch auf seinem Weg in das hohe Kirchenamt geholfen hatten.
    »Außerdem kommt noch hinzu«, fuhr James fort, »dass mich dieser gerissene Shawn an den Eiern hat.«
    Als er Jacks Reaktion beobachtete, lachte James laut auf. »Oh, Verzeihung«, sagte er und wiederholte die Formulierung, die Jack zuvor benutzt hatte: »Verzeih meine Ausdrucksweise!«
    Jack lachte und musste sich eingestehen, dass er Vorurteile gegen seinen Freund gehegt hatte, der sich — außer in seiner äußeren Erscheinung — offenbar überhaupt nicht verändert hatte. »Touché!«, sagte er, immer noch lächelnd.
    »Lass es mich so ausdrücken«, fuhr James fort. »Er hat meine Begehrlichkeit ausgenutzt, als er das Ossuarium mit mir als Absender vom Vatikan aus an meine Adresse geschickt hat. So kam er durch den Zoll, während ich gleich davon ausging, dass es sich um ein Geburtstagsgeschenk handelte. Indem ich die Kiste annahm und dafür unterzeichnete, wurde ich, wenn du so willst, zum
Komplizen. Ich hätte die Annahme

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