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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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Augen spiegelten die überragende und umsichtige Intelligenz, um die Jack ihn immer beneidet hatte.
    »Nein, wirklich«, fuhr James fort, »du siehst nur halb so alt aus, wie du bist.«
    »Ach, hör schon auf«, sagte Jack lächelnd. Plötzlich erinnerte er sich wieder daran, wie geschickt James anderen zu schmeicheln vermochte — ein Charakterzug, den er durchaus zu seinem Vorteil nutzte. Wegen seiner Fähigkeit, andere zu betören, gab es damals in Amherst niemanden, der James nicht mochte.
    »Aber schau doch dich an«, sagte Jack und versuchte, das Kompliment zurückzugeben. »Du siehst aus wie ein Prinz aus der Renaissance.«
    »Ein pummeliger Renaissanceprinz, der nur im Speisesaal trainiert.«
    »Immerhin«, fuhr Jack fort, ohne seinen Einwand zu beachten. »Du bist Kardinal, einer der mächtigsten Männer der Kirche.«
    »Papperlapapp«, entgegnete Jack und machte eine abwehrende Handbewegung, so als ob Jack ihn auf den Arm nehmen wollte. »Ich bin nur ein einfacher Gemeindehirte, der sich um seine Schäfchen sorgt. Gott der Herr hat mich an einen Platz gestellt, der mir viel mehr abverlangt,
als ich leisten kann. Aber es ist nicht an mir, die Wege des Herrn zu hinterfragen, und ich tue mein Möglichstes. Aber genug mit dem Small Talk. Dafür werden wir beim Essen noch genug Zeit haben, aber zuerst möchte ich dir etwas zeigen.«
    James ging voran, hinaus aus dem Arbeitszimmer, den langen Flur entlang, vorbei an einem stattlichen Esszimmer, in dem zwei Plätze an einer Zwölf-Personen-Tafel gedeckt waren, und hinein in die große Küche, die mit modernen Gerätschaften bestückt war, aber noch altmodische Arbeitsplatten und Spülsteine aus Speckstein aufwies. Eine Frau stand an der Spüle und wusch einen Kohlkopf. Sie war groß, ungefähr eine Handbreit größer als James, und trug die dunklen Haare streng nach hinten zu einem Knoten zusammengesteckt. James stellte sie als Mrs Steinbrenner vor — die Hauswirtschafterin und uneingeschränkte Herrscherin der Residenz. Als Antwort scheuchte sie James aus ihrer Küche, wie sie sie nannte, und tat so, als sei sie darüber erbost, dass er eine Karotte von der sorgsam arrangierten Gemüseplatte stibitzte.
    »Das ist Ihr Mittagessen«, schalt sie mit starkem deutschem Akzent und schlug nach seiner Hand. James tat, als sei er eingeschüchtert, und bedeutete Jack, ihm die Treppen hinunter in den Keller zu folgen.
    »Sie tut so, als wäre sie Brünhild«, erklärte James. »Aber eigentlich ist sie wie ein Lamm. Ohne sie käme ich nicht klar. Sie kocht für mich — außer bei großen Gesellschaften – , sorgt für tadellose Sauberkeit und hält jedermann, mich eingeschlossen, auf Trab. Wo war noch gleich der Lichtschalter?«
    Sie hatten den zementierten Keller erreicht, der mit unbehandelten, weiß gestrichenen Brettern in verschiedene Räume aufgeteilt worden war. Als James den Lichtschalter drehte, wurde ein langer Hauptkorridor sichtbar,
der auf beiden Seiten von Türen mit Vorhängeschlössern gesäumt war.
    »Ich bin wirklich dankbar, dass du so schnell kommen konntest«, sagte James, als er vor einer der Türen anhielt. Er nahm einen Schlüssel, öffnete das Schloss und schob den Riegel zur Seite. Die Scharniere quietschten, als sich die Tür nach außen öffnete. James tastete noch einmal nach dem Lichtschalter, bevor er den Raum betrat, und winkte Jack, ihm zu folgen.
    Es war ein rechteckiger Raum, ungefähr sechs Meter lang, drei Meter breit und dreieinhalb Meter hoch. Die Stirnwand bestand aus grob behauenen, etwas vorstehenden Granitblöcken, die auch das Fundament des Hauses bildeten. Die Wände waren mit Regalen bedeckt, in denen sorgfältig beschriftete Umzugskartons untergebracht waren. Am Ende des Raumes stand eine verblichene Transportkiste, deren Stahlbänder zerschnitten worden waren, sich aber noch an ihrem Platz befanden. Erneut winkte James Jack heran. James ging zu der Kiste und bog die Metallbänder zur Seite, um den Kistendeckel freizulegen, der offensichtlich aufgebrochen und dann wieder zugedrückt worden war.
    »Damit fing der Ärger an«, sagte James. Dann seufzte er. »Wie du siehst, ist es an mich adressiert. Und wie du sehen kannst, bin ich offenbar auch der Absender. Schau mal, hier steht, dass die Kiste persönliche Gegenstände enthält.«
    »Hat Shawn dir die Kiste geschickt?«
    »In der Tat. Ein schlauer Fuchs. Er hat mich sogar angerufen, um mir zu sagen, dass sie kommen würde. Er meinte, es wäre eine Überraschung, und er

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