Obduktion
hatte.«
»Ein Anthropologe kann all diese Dinge herausfinden?«
»Ein klares Ja bei den ersten beiden Punkten. Ob die Knochen menschlichen Ursprunges sind, und ob sie von einer Frau stammen. Etwas weniger sicher ist die Feststellung, ob die Frau ein Kind geboren hat. Wenn die Veränderungen, nach denen man Ausschau hält, nachweisbar sind, dann hatte die Frau mit Sicherheit Kinder. Und je
deutlicher diese Veränderungen sind, desto mehr Kinder hatte sie. Sind diese Merkmale nicht nachweisbar, kann man aber nicht ausschließen, dass die Frau zumindest ein Kind hatte.«
»Faszinierend«, sagte James. »Besonders der Gedanke, dass die Knochen auch von einem Mann stammen könnten. Wenn das der Fall wäre, hätte der Albtraum ein Ende.«
»Hast du die Knochen gesehen?«, fragte Jack.
»Nein. Shawn und seine Frau wollten sich nur vergewissern, dass das Ossuarium während des Transports nicht aufgebrochen worden war. Sie wollten das Ossuarium nicht selber öffnen, weil es mit Wachs versiegelt ist. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass sie sich darüber Sorgen machten, in welchem Zustand sich der Inhalt nach über zweitausend Jahren befinden könnte, und dass sie ihn nicht der Luft und der Luftfeuchtigkeit aussetzen wollten, ohne Laboreinrichtungen zur Verfügung zu haben. Hast du Shawns Frau schon einmal getroffen?«
»Vielleicht«, antwortete Jack. »Ich habe ihn vor zwei Jahren zum letzten Mal gesehen, aber bei der Geschwindigkeit, mit der er seine Frauen wechselt, weiß ich nicht, ob ich auf dem letzten Stand bin. In den vierzehn Jahren, die ich hier in der Stadt bin, habe ich Shawn erst zweimal gesehen. Ich weiß, dass er in dieser Zeit mindestens zweimal geheiratet hat und wieder geschieden wurde.«
»Völlig schamlos«, bemerkte James. »Aber nicht charakterlos. Weißt du noch, wie viele Freundinnen er auf dem College hatte?«
»Das werde ich niemals vergessen«, sagte Jack. »Ich erinnere mich an ein Wochenende, an dem zwei von ihnen zugleich aufkreuzten. Die eine war für Freitagnacht eingeplant und die andere für Samstag, aber die für Samstag war irrtümlich davon ausgegangen, dass die Einladung
fürs ganze Wochenende gilt. Zum Glück konnte ich einspringen. Es endete damit, dass ich mich um die Freitagsverabredung kümmerte und wir zusammen einen draufmachten. «
»Shawns jetzige Frau heißt Sana.«
»Oh ja«, sagte Jack, der sich erinnern konnte. »Ich bin ihr schon begegnet. Sie war sehr schüchtern und zurückhaltend. Sie hat sich immer nur an seinem Arm festgehalten und ihn angehimmelt. Es war ein bisschen peinlich.«
»Sie hat sich verändert. Sie hat sich als Molekularbiologin in ihrem Fach einiges Ansehen verschafft. Sie arbeitet jetzt an der medizinischen Fakultät der Columbia University. Es kommt mir so vor, als sei sie seit ihrer ersten Begegnung mit Shawn richtig aufgeblüht. Eingedenk der Vorliebe, die Shawn für fügsame Frauen hat, die ihn anhimmeln, habe ich das Gefühl, dass ihre Ehe nicht allzu lange halten wird. Was seine gesellschaftliche Position anbetrifft, wird er sich wohl nie zufriedengeben. Ich bin ja kein Experte, aber ich glaube, er kann gar nicht treu sein.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Jack. Er hatte nie bewundert, wie Shawn mit Frauen umging, aber er hatte sich jeden Kommentars enthalten. Zwischen James und Shawn war es jedoch immer ein Stein des Anstoßes gewesen.
»Was für eine Beziehung hast du zu Shawn?«, erkundigte sich James.
Jack zuckte die Schultern. »Wie schon gesagt, ich habe ihn erst zweimal gesehen, seit ich nach New York gezogen bin. Bei beiden Gelegenheiten hatte er mich freundlicherweise zum Essen zu sich nach Hause eingeladen. Wahrscheinlich hätte ich diese Geste erwidern sollen, aber ich lebe zurzeit ziemlich einsiedlerisch.«
»Du hast so etwas schon am Telefon angedeutet«, sagte James. »Willst du es mir erklären?«
»Nein. Vielleicht ein andermal«, antwortete Jack, der es vermied, auch nur für eine Sekunde an seine erste Familie zu denken. »Erzähl du mir lieber, wie ich dir helfen kann. Ich vermute, es hat etwas mit der Kiste im Keller zu tun.«
James holte tief Atem, um sich innerlich zu festigen. »Damit hast du natürlich recht«, fing er an. »Es hat mit der Kiste da unten zu tun. Was würde deiner Meinung nach passieren, wenn ein nennenswerter Prozentsatz von Menschen, und sei es auch nur für eine kurze Zeit, glauben würde, das Ossuarium im Keller enthielte tatsächlich die Knochen der Jungfrau Maria?«
»Ich
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