Oben ohne
Telefon über einer Nichtigkeit gestritten, und das steht auch jetzt noch zwischen uns. Wir gehen kurz auf mein Zimmer, dann beschließen wir, aufs Rad zu steigen. Vielleicht löst sich dabei die krampfige Stimmung. Ich ziehe mich um, und dann gehen wir in die Tiefgarage, wo unser alter Golf steht, vollgepackt mit Tinos Rad und seinem ganzen Gepäck. Wir wollten nicht irgendwelche Riesentaschen in mein Zimmer schleppen, das wäre vielleicht doch etwas auffällig gewesen. Tino schaut sich gründlich um und legt dann einen Strip hin, um danach in Radhose und Trikot zu steigen. Ich hole derweil mein Mountainbike aus dem Radverhau um die Ecke. Noch kurz das Vorderrad in Tinos Rad einbauen, und es kann losgehen.
»Sollen wir auf die Gotzenalm fahren?«
»Keine Ahnung, ich kenne mich hier nicht aus.«
Die Tour ist relativ kurz, und man hat immer wieder traumhaft schöne Ausblicke. Nachdem wir kurz bergab gerollt sind, geht es bergauf – wie immer in den Alpen: im Prinzip direkt senkrecht den Berg hoch. Ich habe mich in den vergangenen Wochen komplett an diese Steigungen gewöhnt und fahre sowieso gerne die Berge hoch. Das Profil hier ist für mich schon so normal wie eine x-beliebige Hausstrecke im Schwarzwald. Ich rechne überhaupt nicht damit, dass sie Tino Schwierigkeiten bereiten könnte. Tut sie aber, er läuft rot an, schnauft, und seine Stimmung wird immer gereizter. Durch die lange Autofahrt ist er kreislaufmäßig völlig runtergefahren, die Woche hat ihn zusätzlich angestrengt – und so macht ihm die Steigung ziemlich zu schaffen. Irgendwann wird er richtig böse.
»Hast du die Strecke eigentlich extra ausgesucht, um mich fertigzumachen?«, giftet er mich an.
Ich erkläre ihm, dass es hier immer so hochgeht und dass ich ihn damit nicht unnötig quälen will.
Tino stößt ein paar halblaute Verwünschungen aus.
Aber komischerweise klärt dieser kleine Ausbruch die schlechte Stimmung, Tinos Kreislauf kommt in Schwung, und es läuft besser. Wir kommen in einen gemeinsamen Rhythmus, den wir beim Bergfahren sonst auch finden, diesen Flow, wenn alles zwar nicht wirklich leicht geht, aber der Geist langsam freier wird. Der Weg ist zunächst asphaltiert, mündet dann in einen breiten Schotterweg. Fahrtechnisch ist das alles nicht anspruchsvoll. Jetzt queren wir eine Weide, um dann in einigen letzten supersteilen Kurven nach oben zu keuchen. Jetzt fließt wirklich alles, der Atem, der Schweiß, die Landschaft um uns herum. Oben eröffnet sich der Blick auf eine sanft geschwungene Hochebene. Kühe, eine Berghütte, und dahinter das mächtige Watzmann-Massiv im rötlichen Abendlicht. Phantastisch! Es hat sich gelohnt, auch wenn die Tour bei Tino von nun an den Spitznamen »Kotzen-Alm« weg hat.
Wir stehen stumm da, spüren, wie der Atem sich langsam beruhigt, und genießen die Aussicht, die wenigen Geräusche der abendlichen Alm, den Geruch nach Bergwiese und Sommerluft.
Wir gehen noch einen schmalen Pfad zu einem Aussichtspunkt, von dem man direkt auf den Königssee sieht, der still etliche hundert Höhenmeter unter uns liegt. Hier ist eben alles steil. Danach ziehen wir die Jacken über und stürzen uns auf demselben Weg zurück ins Tal.
Am Samstagmorgen ist klar: Der Wetterbericht hat recht gehabt. Es gießt mal wieder wie aus Kübeln. Tino hat auf seiner Isomatte vor meinem Bett geschlafen – zumindest den zweiten Teil der Nacht, als es dann wirklich zu eng wurde auf neunzig Zentimetern. Eine Runde Joggen ist da noch drin, aber ansonsten gibt es eben keinen Sport. Nach dem Frühstück beschließen wir, ein bisschen durch Berechtesgaden zu bummeln und anschließend im örtlichen Thermalbad die Sauna unsicher zu machen. Es hat gerade mal vierzehn Grad. »Das ist in Finnland ja vielleicht Hochsommer«, knurrt Tino.
»Da ist die Sauna doch passend«, finde ich.
Ähnlich ruhig verläuft auch der Sonntag, denn die Wetterlage ändert sich nicht. Regen, Regen, Regen. Schon etwas schade, schließlich sind wir umgeben von einer beeindruckenden Bergwelt, in einem der schönsten Winkel Deutschlands. Von dem Tino am Freitag ja schon einen kleinen Eindruck bekommen hat. Egal, wir genießen den Sonntag trotzdem, und montags nach dem Frühstück macht er sich auf den Rückweg, während auf mich wieder mein Therapieplan wartet. Ich bringe ihn zum Wagen, aber der Abschied ist weniger schlimm als erwartet. Irgendwie ist es okay, hier zu sein. Auch wenn es immer wieder richtig hart ist, so mit sich selbst konfrontiert zu
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