Oben ohne
reflektiert getroffen habe, ist sie in Ordnung. Ich merke, wie sich in mir etwas klärt, wie etwas einfacher wird, deutlicher.
Mit einem richtig guten Gefühl verlasse ich ihr Zimmer. Die Vorgehensweise steht jetzt für mich fest: Ich werde in der neuen Schule anrufen und mit offenen Karten spielen. Es ist natürlich total blöd für eine Schulleitung, wenn sie nicht weiß, welches Personal ihr zum nächsten Schuljahr zur Verfügung stehen wird. Aber ein paar Wochen mit neuen Klassen anzufangen, um dann gleich wieder für einen längeren Zeitraum auszufallen, ist auch nicht besser. Es besteht ja immer noch die Hoffnung, dass ich bald Bescheid weiß. Nicht zuletzt ist da diese Chance von fünfzig Prozent, dass mir meine Mutter den Gendefekt nicht vererbt hat, dass ich negativ bin. Das vergesse ich immer wieder.
Am nächsten Mittag erwartet mich nach der Krankengymnastik ein Blumenstrauß auf meinem Zimmer. Ich schaue auf die beiliegende Karte: Meine Oma hat an mich gedacht. Wie schön, das freut mich wahnsinnig. Ich muss sie gleich anrufen!
Meine Hoffnung auf eine baldige Info über das Ergebnis wird an einem der nächsten Nachmittage allerdings schlagartig vernichtet. Ein Anruf aus Köln: Das Blut meiner Großmutter ist nicht mehr verwendbar. Die DNA sei zu fragmentiert, vielleicht ein Problem der Lagerung. Das ist nicht euer Ernst! Wie soll ich denn jetzt hier von Oberbayern aus neues Blut von Oma bekommen? Die ist zudem gerade selber in Kur, in Isny im Allgäu. Ach, ich könnte heulen. Aber es hilft nichts, ich muss Oma anrufen. Sie erzählt mir erst mal, dass es ihr gar nicht gut gehe, da sie an einem Magen-Darm-Virus laboriere. Zum Glück sei der Arzt im Haus sehr nett. Ich werde hellhörig, ein Arzt im Haus, wie praktisch! Ich lasse Oma noch ein wenig ihr Herz ausschütten. Ist ja auch ärgerlich, sie hat sich so auf die Tage gefreut. Zu Hause läuft immer ein volles Programm, mit Bestrahlung gegen den Brustkrebs, Lymphdrainage wegen dem geschwollenen Arm und so weiter. Ich kann es sehr gut verstehen, dass sie davon auch mal Urlaub will. Aber der wird ihr nicht vergönnt. Und jetzt muss ich ihr auch noch in die Suppe spucken. Schließlich ist sie aber durch: »Und wie geht es dir?«
Ich hole tief Luft: »Ganz gut. Aber ich habe ein Problem. Die Uniklink Köln, die den Gentest durchführt, hat angerufen. Sie brauchen nochmal Blut von dir.«
»Kind, wie soll ich das machen? Das geht nicht. Ich bin ja gar nicht zu Hause. Und ich brauche doch auch Urlaub. Nein, das geht jetzt nicht. Bei aller Liebe nicht.«
Jetzt kommt mein Trumpf: »Oma, du musst doch nochmal zu dem Arzt im Haus, oder? Ich schreibe ihm einen Brief, in dem alles steht. Du musst dich um nichts kümmern.«
»Ich muss da aber morgen schon hin, der Brief dauert doch Tage.«
Das stimmt. Ich denke kurz nach.
»Ich kann das Schreiben an die Klinik faxen! Dann hat er es morgen früh gleich.«
»Ich kann dir keine Faxnummer geben.«
»Musst du auch gar nicht. Ich kümmere mich drum. Du gehst einfach morgen früh zum Arzt.«
»Wenn du wirklich meinst … ich gehe morgen hin, und vielleicht kann er dir ja dann helfen.«
»Ja, mehr musst du nicht machen. Danke, Oma.«
»Schon gut, ich kann dir halt nicht viel helfen.«
Oje, was habe ich da versprochen, mit dem Fax und allem. Wie soll ich das hinkriegen? Soll ich Tino anrufen? Nein, eigentlich habe ich doch alles, was ich brauche: Unten sind für Patienten mehrere Computer mit Internetzugang, ich kenne den Namen der Klinik, in der Oma ist. Ich werde ein Fax aufsetzen und an der Rezeption fragen, ob sie es für mich durchschicken.
Ob das alles so klappen wird?! Ich habe meine Zweifel. Jetzt kann ich allerdings nicht lange darüber nachdenken, denn ich habe selber noch Anwendungen und muss los.
Gleich danach erobere ich einen Computer und schreibe das Fax. Die Faxnummer von Omas Klinik lässt sich problemlos im Internet herausfinden. So, einmal drucken bitte, und ab damit an die Rezeption. Mal sehen, was passiert. Ob mich Oma morgen anruft? Vielleicht wartet sie darauf, dass ich mich melde. Da war sie wieder: die nervige Warterei.
Am nächsten Mittag klingelt mein Telefon, und eine völlig vergnügte Oma ist dran. Der Arzt habe ihr Blut abgenommen und organisiere den Transport, berichtet sie mir im Plauderton. Und im Übrigen fände er es total klasse und sehr mutig, was ich da mache. Er hat sie wohl ewig lange über ihre Enkelin ausgefragt. Oma ist hörbar stolz auf mich. Was für eine
Weitere Kostenlose Bücher