Oben ohne
die beiden Frauen kennen kein Erbarmen.
»Kommen Sie weiter«, heißt es da nur freundlich.
Ich beiße die Zähne zusammen, und schließlich lande ich doch auf meinen beiden Beinen. Jetzt soll ich auch noch laufen, aber die Übelkeit wird stärker.
»Ich glaube, mir wird schlecht.«
Die beiden Schwestern verständigen sich kurz und setzen mich schnell, aber behutsam wieder auf dem Bett ab. Die Übelkeit ebbt ab, aber ich bin durchgeschwitzt. Diese Übung nennt sich nun also Mobilisieren.
»So, jetzt lassen wir das Rückenteil wieder langsam ab.« Es kommt mir unendlich lang vor, bis ich mich wieder in der Liegeposition befinde. Als ich schließlich liege, bin ich einfach nur erleichtert.
Das zweite Mal geht schon viel besser. Nach dem Mittagessen kommt der nächste Anlauf. Die Schmerzen sind zwar da, aber die kann ich aushalten, wenn es der Kreislauf zulässt. Ich schaffe sogar ein paar Schritte einmal ums Bett herum. Wir bilden eine richtige Prozession: die beiden Schwestern an meiner Seite, dahinter Tino, der den Urinbeutel und die fünf Flaschen für die Wundflüssigkeit trägt. Ganz zum Schluss kann ich sogar einen kurzen Blick durch das Krankenhaushemd nach unten auf die Brust werfen. Es sieht gar nicht schlimm aus. Ich habe zwar noch nicht alles gesehen, aber für den Moment ist es genug. Ich könnte Tino bitten, mir einen Spiegel zu organisieren. Aber das muss nicht sein. Er sagt ja auch, dass der Busen schön aussieht.
»Morgen ist Samstag.« Tino steht am Bett.
Ich nicke, denn ich weiß, was er eigentlich sagen will. Wenn bis morgen mit dem Transplantat nichts schiefgeht, dann sind die kritischen drei Tage rum. Aber ich schiebe diesen Gedanken lieber schnell beiseite, so wie ich es schon die ganzen Tage mache. Diese geringe Prozentzahl wird mich nicht treffen. Punkt.
Die weiteren Durchblutungskontrollen sind durchweg positiv. Lediglich die erste von der Nachtschwester ist fies, denn sie hat immer die Heparinspritze mit dabei. Jeden Tag werden wir brav gespritzt, um eine Thrombose zu verhindern. Wenn dieses verdammte Ding nicht so wehtun würde! Einmal hat die Schweizerin die Spritze gesetzt. Die hat das fast schmerzfrei hinbekommen. Aber es scheint gar nicht so einfach zu sein, denn bei allen anderen ist es ein intensiv brennender Schmerz. Dabei tragen wir Patientinnen hier alle zusätzlich noch diese neckischen Thrombosestrümpfe. In Kombination mit meinen Kompressionshosen der absolute Brüller. Nun denn, wir machen unsere Witze darüber, das hilft.
Inzwischen ist es Samstag, heute gehe ich zum ersten Mal ins Bad. Ich werde mich meinem neuen Spiegelbild stellen. Zumindest ist das der Plan. Tino trifft pünktlich zu meinem Frühstück im Krankenhaus ein. Ich komme immer besser selber zurecht, kann seine Hilfe aber noch gut gebrauchen. Das Tischwägelchen ist widerspenstig. Ich zerre, und es tut sich nichts. Dann setzt es sich mit einem Ruck in Bewegung. Dieser Ruck wiederum kann für mich sehr unangenehm sein. Von daher: einfacher, wenn Tino es durch die Gegend schiebt. Von meiner Mitpatientin bekommt er anerkennende Worte: so früh schon parat stehen, sie hätte mir das Tischchen auch rangefahren. Sie ist zwar auch relativ frisch operiert, aber ihr Eingriff war nicht so massiv. Sie kam am Donnerstag auf mein Zimmer, als ich noch halb im Koma lag.
»Wie war deine Nacht«, frage ich ihn.
»Geht so. Unter der Woche steigen in dem Hotel viele Handwerker ab, die auf Montage sind. Die wollen nachts schlafen. Jetzt am Wochenende sind Jugendliche da, und die machen Party. Ich habe mir sofort die Ohrenstöpsel reingetan. Aber gut schlafen ist etwas anderes.«
Nach dem Frühstück kommt das Aufstehen. So über Nacht bin ich doch wieder ganz schön eingerostet. Aber die Schmerzen im Hintern sind nicht mehr so dramatisch. Ich weiß, welche Bewegung ich nicht machen darf. Und mein Kreislauf kann sich inzwischen wieder gut ans Aufstehen erinnern.
»Klappt heute ja super«, sagt Tino anerkennend.
Ich lächle. Nachdem ich einige Sekunden auf den Beinen stehe, kann’s losgehen. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Das Bad ist meilenweit weg. Tino hat alles vorbereitet: Die Badtür steht weit offen, Licht brennt. So muss er nicht von meiner Seite weichen. Man merkt, dass er im Zivildienst in der Pflege war. Es scheint, als bereite ihm das alles keine Schwierigkeiten. Zumindest lässt er sich nichts anmerken. Inzwischen bin ich ganz schön am Schnaufen. Nur noch wenige Schritte.
»Alles klar?«
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