Oben ohne
wieder ans Essen denken. Evelyn wird die Nacht noch hier im Aufwachraum verbringen. Ich gehe in ein Restaurant um die Ecke und bestelle mir etwas. Danach bin ich nochmal kurz bei ihr, aber im abgedunkelten Raum ist sie schon wieder am Schlafen. Gut so, denke ich. Auch der Puls hat sich weiter normalisiert und ist inzwischen bei siebzig Schlägen angelangt. Keine Ahnung, ob das irgendetwas zu bedeuten hat, aber mir gibt diese Beobachtung ein gutes Gefühl. Ich seufze, alles scheint glattgegangen zu sein. Die Schwester erklärt mir noch, dass sie erst morgen früh auf ihr Zimmer kommt, heute Nacht bleibt sie noch hier. Das finde ich gut. Draußen schwinge ich mich auf mein Rad und fahre durch den nächtlichen Englischen Garten in Richtung Hauptbahnhof, wo mein Low-Budget-Hotel liegt. Ich bin ziemlich erschöpft, aber einigermaßen zuversichtlich. Mal sehen, wie es ihr morgen gehen wird.
MIR IST WARM
Es ist warm, richtig warm. Und es ist total dunkel. Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Wo bin ich? Im Hintergrund höre ich eine Tastatur klappern. Ich beschließe, die Augen zu öffnen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber so einfach ist es im Moment nicht. Die Augenlider fühlen sich schwer an, wahrscheinlich ist alles total verquollen. Ich schaffe es, die Augen für einige Sekunden zu öffnen, aber ich muss mich erst einmal orientieren. So langsam dämmert es mir. Ich liege im Krankenhaus, Tino arbeitet am Laptop. Aber warum ist mir so warm? Ich liege reglos da, ich weiß gerade nicht, ob ich mich eigentlich bewegen darf. Ich will mich als wach bei Tino melden, aber es kommt nur ein klägliches Krächzen. Ich habe eindeutig lange nicht mehr gesprochen.
»Na, bist du wach?«
»Wach? Ich weiß nicht. Mir ist warm.«
»Das ist kein Wunder. Du liegst ja unter der Heizdecke!« Stimmt, die Heizdecke, die ein Absterben des Transplantats verhindern soll.
»Soll ich dir einen kalten Waschlappen auf die Stirn legen?«
»Ja. Und bitte bring mir was zu trinken.«
Tino versorgt mich mit dem Waschlappen und hält mir ein Glas mit Strohhalm hin. Ich trinke gierig: Das tut gut.
»War ich schon mal wach?«
»Ja, immer mal wieder ganz kurz. Aber so richtig klar warst du nie.«
Besonders klar fühle ich mich jetzt auch nicht. Das Sprechen strengt mich noch sehr an. Ich merke, wie mir die Augen zufallen. Der kühle Waschlappen auf der Stirn tut gut. Ich versuche, mich in meinem Körper zu orientieren. Die rechte Seite meines Hinterns ist operiert worden. Das weiß ich. Wahrnehmen kann ich sie allerdings nicht richtig. Es fühlt sich alles gleich an. Der ganze Körper ist entspannt, aber auch irgendwie leblos. Ein bisschen wie in Watte gehüllt. In der Brust werde ich sowieso nichts mehr spüren. Ich merke, dass ich vom Dämmerzustand gleich wieder in den Schlaf gleiten werde.
Irgendetwas passiert gerade mit meiner Decke. Wie war das? Augen öffnen. Ah, eine Schwester.
»Hallo, wie geht es Ihnen?«
Die Decke wird kurz gelüftet.
»Ihr Mann bringt Ihnen gleich einen neuen Waschlappen. Ich werfe inzwischen einen Blick auf das Transplantat. Ich komme stündlich vorbei und schaue, ob alles in Ordnung ist. Ah, das sieht gut aus. Es ist gut durchblutet. Sehr schön.«
Ich nehme noch einen Schluck mit dem Röhrchen und merke schon wieder die Erschöpfung. Eigentlich würde mich noch interessieren, ob die Schwester tatsächlich stündlich vorbeigekommen ist. Aber dazu reicht meine Kraft im Moment nicht mehr.
Die nächste Unterbrechung meines Schlafs kommt durch Tino: »Evelyn, aufwachen, es gibt gleich Mittagessen.«
Mittagessen? Was, es soll Mittag sein? Welchen Tag haben wir denn überhaupt? Erster Schritt wie gehabt: Augen öffnen. Die Fragen kann ich nachher noch klären. Wie stellt sich Tino jetzt Essen vor? Ich kann mich doch gar nicht bewegen. Irgendwie gehören die Gliedmaßen nicht zu mir. Ich glaube nicht, dass ich darüber Kontrolle habe. Tino schiebt gerade das Krankenhaustischchen über mein Bett. Die Schwester stellt das Kopfteil vom Bett auf. Oh, fast senkrecht: Das ist eine neue Sicht. Aber mein Kreislauf findet das nicht so richtig gut. Am liebsten würde ich das Kommando rückwärts geben. Aber dazu bräuchte ich die Kraft zu widersprechen. Im Moment muss ich mich voll darauf konzentrieren, überhaupt mit dem Positionswechsel klarzukommen. Die Augen habe ich längst wieder geschlossen.
»Alles in Ordnung?«, will Tino wissen.
Ich nicke ganz langsam. Allmählich gewöhne ich mich an die
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