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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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paar Sätze in einem slawisch-finnischen Kauderwelsch, das man zur Not auch für Russisch halten konnte. Die Gefahr, dass ihn einer aus dem Team Jennerweins erkannte, war gering. Er war vollkommen vermummt, nur zwei kleine Sehschlitze gaben seine Augen frei. Eine kleine, drahtige Polizistin trat auf ihn zu und blickte ihn fragend an.
    »Jeschta besneschtscho goj«, improvisierte er, um Zeit zu gewinnen. Er beugte sich unauffällig zur Seite.
    »Ja ne ponemaju parusski«, sagte Nicole und trat einen Schritt nach rechts.
    Verdammt, die Frau sprach Russisch! Er lugte zu der Trage, auf der Weißenborn lag. Sein Körper war durch die Felswand halb verdeckt, ein Kopfschuss kam schon einmal nicht in Frage. Wenn er sich aber noch mehr zur Seite beugte, müsste er ihn treffen können. Er hatte nur einen einzigen Versuch, aber er war ein hervorragender Schütze, und es waren nicht mehr als zehn Meter. Allerdings musste er warten, bis die Polizistin endlich aus der Schusslinie ging. Oder sollte er zuerst sie –
    »Dassewitschan tebja niwasrashrpo?«
    »Jamkin da dobrij odawollssi aglassna«, antwortete er und zeigte nach oben. Sie fiel tatsächlich auf den Trick herein. Sie trat zwei Schritte zurück, um besser sehen zu können, wohin er gezeigt hatte.
     
    Auf der anderen Seite, die bergauf führte, gab es einige Aufregung, denn eine Dame in Fummel und Halbschühchen verlangte den leitenden Ermittler zu sprechen.
    »Der ist momentan beschäftigt«, sagte Maria ruhig. »Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
    »Wir haben da unten einen Notfall«, kreischte die Dame. »Unser Fotograf ist ins Wasser gestürzt. Sie müssen einen Rettungshubschrauber rufen.«
    »Wie weit ist der Unglücksort entfernt?«
    »Gleich da unten.«
    »Ostler, kümmern Sie sich drum.«
    Ostler ging durch die feindlichen Reihen. Schon von weitem sah er, dass der Mann an einem herausragenden Felsen hängengeblieben war. Er beugte sich hinunter, reichte ihm die Hand und zog ihn herauf.
    »Ich hätte gleich ein paar Fragen!«, sagte der Mann.
    »Später. Morgen.«
     
    Fred Weißenborn schien plötzlich hellwach zu sein, seine Augen flackerten, und seine Hand zitterte.
    »Kommen Sie her! Schauen Sie nur: Er zeigt Reaktionen – Richten Sie ihn auf.«
    Fred Weißenborn versuchte etwas zu sagen, aber kein Wort kam ihm über die Lippen. Mit allerletzter Kraft hob er die Hand und streckte die Finger aus. Er deutete auf jemanden. Alle drehten sich um. Sie sahen nur ein paar Reporter, die nicht bereit waren, ihre einmal ergatterten Positionen aufzugeben. Jennerwein beugte sich zu Weißenborn.
    »Wen sehen Sie? Sagen Sie nur einen Namen!«
    »…D… Ver…Verräter!«
    Nicole Schwattke sah etwas aufblitzen. Sie hatte noch nicht die Erfahrung von zwanzig Dienstjahren, aber sie hatte das Gespür, den Riecher für bedrohliche Situationen. Ohne zu zögern riss sie den vor Schmerzen aufstöhnenden Weißenborn von der Liege herunter und zerrte ihn am Boden entlang, bis sie ihn ganz hinter die Felsmauer geschleift hatte. Man hatte keinen Schuss gehört – natürlich nicht bei dem Tosen des Wildwassers – aber das Einschussloch im Felsen war deutlich sichtbar. Ein faustgroßer Krater tat sich da auf, aus dem immer noch weißliche Brösel rieselten. Das Einschussloch war dort, wo sich gerade noch Weißenborns Oberkörper befunden hatte. Während Nicoles Aktion waren alle in Deckung gegangen, Stengele hatte als Erster die Waffe gezogen. Er war mit Abstand der beste Schütze im Team, aber hier war es ihm einfach zu riskant, es standen allzu viele Zivilisten im Weg, die sich nicht etwa wegduckten, sondern sich im Gegenteil neugierig reckten und herandrängelten.
     
    Arri ließ die störenden Kameras über die Schultern gleiten und zu Boden fallen. Diese verfluchte Polizistin hatte ihn hereingelegt! Er hatte jedenfalls sein Ziel verfehlt, und Weißenborn befand sich außer Schussweite. Jetzt zu fliehen und sich durch die Menge der Neugierigen zurückzudrängen, erschien ihm zu riskant. Es standen einfach zu viele Leute im Weg. Und er musste Weißenborn immer noch erledigen. Blitzschnell erkannte er die einzige Möglichkeit, die ihm geblieben war: er musste eine Geisel nehmen. Drei Meter von ihm entfernt stand eine große, schlaksige Frau, sie hatte als einzige im Polizeiteam nicht zur Waffe gegriffen. Arri sprang nach vorn über die Absperrung, riss die Frau am Arm zurück und drückte ihr die Mauser an den Hals.
    »Halten Sie alle Ihre Waffen am Abzugsbügel hoch!«,

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