Oberwasser
lag, nur ein paar Meter von ihm entfernt. Er war offensichtlich noch nicht hinunter ins Krankenhaus gebracht worden. Und das konnte eigentlich nur einen Grund haben.
»Ist er –?«
»Nein, er lebt«, sagte Ostler. »Wir konnten ihn aber noch nicht hinunterschaffen. Wir kommen einfach nicht weiter. Schauen Sie sich das an! Wir sind eingekeilt.«
Und jetzt kam die zweite unangenehme Überraschung für den Kommissar. Sie hatten Gesellschaft bekommen. Viel Gesellschaft. Von allen Seiten gab es Blitzlichtgewitter, Zurufe, Geschrei. Stengele und Nicole hatten Mühe, die Menschenmengen, die sich von beiden Seiten des Weges Zugang zu der provisorischen Operationsbasis verschaffen wollten, zurückzudrängen. Jennerwein richtete sich ruckartig auf.
»Was ist denn hier los?«
»Irgendjemand hat die Presse alarmiert«, sagte Maria. »Zuerst kamen nur einige Fotografen, dann Kamerateams, jetzt kreist schon ein Hubschrauber dort droben, aus dem wohl auch gefilmt und fotografiert wird. Sie kommen von allen Seiten. Und die Presse hat viele andere Schaulustige mitgezogen. Sehen Sie, dort auf dem gegenüberliegenden Felsen, da seilt sich sogar einer ab.«
Jennerwein schaute um sich, die Klamm war tatsächlich bevölkert und beleuchtet wie bei einem Volksfest, es fehlten nur noch Würstchenbuden und Eismaschinen.
»Die einzige Möglichkeit, Fred Weißenborn hier heil rauszubringen, ist die, ihn an einem Rettungstau hängend mit dem Polizeihelikopter auszufliegen. Ich habe das schon veranlasst.«
»Gut gemacht, Stengele.«
»Wie kommen
wir
hier raus?«
Jennerwein sprang von seiner Pritsche.
»Indem wir eine Pressekonferenz geben. Wir bleiben bei unserem Dattelberger-Plan.«
Die Verwirrung war groß. Da es nur zwei Zugänge zu der Stelle gab, an der sich die Beamten befanden, stießen sich Fotografen, Kameraleute, Tontechniker und ganz gewöhnliche Journalisten gegenseitig zu Boden. Es waren schon viele Fotos geschossen worden: Jennerwein aus dem Wasser auftauchend, Jennerwein auf der Bahre liegend, Jennerwein auf der Bahre sitzend, Jennerwein mit Thermodecke, Jennerwein mit kleiner Schnittwunde an der Wange, Maria Schmalfuß beim Verpflastern der Schnittwunde. Jennerwein mit Pflaster. Es war offensichtlich, dass kaum einer der Journalisten Bescheid wusste, was wirklich geschehen war. Jennerwein ließ sich das Megaphon geben.
»Hier spricht der leitende Hauptkommissar. Mein Name ist Jennerwein. Sie befinden sich mitten in einem Polizeieinsatz. Verlassen Sie sofort die Klamm. Sie behindern die Ermittlungen.«
Jennerwein wusste selbst, wie er gerade aussah. In der goldfarbenen Thermodecke war er einfach nicht ernst zu nehmen. Nicht als leitender Ermittler. Trotzdem, er hatte es versucht.
»Fragen! Nur einige Fragen!«, schrie die Meute. »Fragen beantworten! Nur eine Frage!«
Die Parteien einigten sich darauf, dass die Polizei zehn Minuten lang Fragen beantwortete, dass die Journalisten im Gegenzug dann aber auch wieder Platz machten und zurückgingen, woher sie gekommen waren.
»Was hat Kommissar Jennerwein dort unten gesucht?«
»Laufende Ermittlungen. Nächste Frage.«
»Haben Sie den Wilderer nun endlich gefasst?«
»Nächste Frage.«
»Hat der Mord, der hier angeblich begangen wurde, wieder etwas mit dem Wilderer zu tun?«
»Nächste Frage.«
Das war Stengele gewesen, der sich um die Journalisten am oberen Ende der Polizeiabsperrung gekümmert hatte. Jennerwein beantwortete die Fragen derjenigen, die talwärts standen. Er versuchte etwas verbindlicher zu sein.
»Es kursieren Gerüchte, dass sich der Wilderer in einer unterirdischen Höhle verbirgt. Stimmt das?«
»Wir untersuchen das gerade. Wenn wir die Ermittlungen beendet haben, teilen wir Ihnen das mit.«
»Sie waren im Wasser. Haben Sie etwas entdeckt? Eine geheime Höhle vielleicht?«
»Ich habe da unten eine von vielen Spuren verfolgt, wir werten alle Spuren sorgfältig aus. Wenn wir alle Spuren ausgewertet haben –«
So ging das immer weiter, natürlich länger als zehn Minuten, natürlich eine halbe Stunde, eine Dreiviertelstunde. Und der Polizeihubschrauber kam und kam nicht. Jennerwein überlegte fieberhaft. Die Zeit lief ihm davon! Er musste Weißenborn unbedingt medizinisch versorgen. Sollte er den Verletzten an den wartenden Journalisten vorbeitragen lassen? An wildfremden Leuten? Unter denen sich Angreifer tummeln konnten? Das war viel zu riskant. Er wählte die Nummer von Dr. Rosenberger.
»Kommissar! Endlich! Ich hoffe, Sie
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