Oberwasser
sie noch nicht weit sein.«
Bogenschlag, Paddelhangrolle, Boofing über die Abrisskante. Arri war schon öfter Wildwasser gefahren, aber dieser Schwierigkeitsgrad war jenseits aller Nummerierungen. Er durfte hier unter gar keinen Umständen kentern, das würde er nicht überleben. Er konzentrierte sich voll darauf, in der Mitte der Hauptabfahrtsrinne zu bleiben. Mit großer Anstrengung war er ins Boot geklettert, er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, die Handgranate zu werfen, jetzt musste er sich voll und ganz aufs Manövrieren konzentrieren.
»Ahh!«, kreischten die Presseleute, als der Wildwasserberserker in ihr Sichtfeld kam. Ein paar verfolgten ihn mit ihren Spots. Es gab die ersten Rangeleien und Knüffe, sogar vereinzelte Ohrfeigen um den besten Platz. Das Kajak, das da herangeschossen kam, tanzte auf dem Kamm einer ungeheuren Welle, fuhr dann mit Karacho ins Wellental hinunter, um auf einem flachen Stein aufzudotzen. Manche hielten sich bei dem hässlichen Knirschen und Krachen die Ohren zu. Doch das signalgelbe Gefährt schien keinerlei Schaden genommen zu haben, rasch nahm es wieder Fahrt auf. Im Boot saß ein Mann in schwarzem Outfit, er hatte die Bankräubermaske immer noch übergestreift, und er hatte alle Hände voll zu tun, zu manövrieren. Der Mann kam näher.
»Der Wilderer! Das ist der Wilderer!«, schrie die aufgeregte Meute. Es waren inzwischen nicht nur Presseleute hier oben, die Ereignisse hatten sich unten im Kurort schnell herumgesprochen, was zu einer wahren Völkerwanderung geführt hatte.
»Warum schießt denn die Polizei nicht?«
»Darf sie nicht!«
»Warum denn nicht?«
»Polizeiaufgabengesetz:
Unmittelbarer Zwang ist vor seiner Anwendung anzudrohen.
Wie will die Polizei das bei dem Lärm machen?«
Genau darauf hatte Arri gesetzt. Sie hatten sicher nicht alle Waffen in die Klamm geworfen, aber sie würden es nicht wagen zu schießen. Nicht, solange diese Bohnenstange noch im Wasser war. Arri wusste, wie das lief, er war selbst einmal Polizist gewesen – und er war es eigentlich immer noch. Das traurige Jennerwein-Grüppchen dort oben, das machtlose Häuflein der Gesetzestreuen musste tatenlos zusehen, wie er ihnen entkam. Wenn seine Exkollegen vorgehabt hätten, ihn zu beschießen, dann hätten sie schon längst ihre Waffen gezogen, um ihn ins Visier zu nehmen. Er war jetzt fünfzehn Meter unterhalb der Stelle, an der die Beamten eingekeilt waren. Wenn er es schaffte, auf die andere, gegenüberliegende Seite der Klamm zu kommen, müsste er am Felsenufer wieder ins Kehrwasser fahren können. Von dort aus hätte er Zeit, Stabilität und Deckung, um die Handgranate vom Gürtel zu lösen, sie zu entsichern und hinüberzuwerfen. Tausendmal geübt, und immer hatte es funktioniert. Wenn er es geschafft hatte, Weißenborn auszuschalten, musste er nur noch dreihundert oder vierhundert Meter nach unten fahren, dort würde Wanda auf ihn warten. Diese Pressemeute war ein Geschenk des Himmels. Ohne die Massen von Menschen wäre er nie so nahe an die Polizisten herangekommen. Er hatte jetzt die Klamm mit dem Seilfähren-Manöver durchquert. Vorsichtig richtete er sich auf und balancierte. Der Zeitpunkt war günstig. Er löste die Handgranate vom Gürtel und machte sie scharf.
Konrad Finger war begeistert. Die Gischtbildung hatte nachgelassen, die Sicht war jetzt ausgezeichnet. Sein Boot drehte sich in einem relativ ruhigen Abschnitt. Das war ein richtiger Panoramablick, den er da per Video geboten bekam! Er kannte die Stelle gut. Wie oft hatte er schon dort oben auf dem Plateau gestanden und sehnsüchtig ins Wasser geblickt. Jetzt schipperte ein Mensch darauf herum – vermutlich das erste Mal in der Geschichte der Klamm. Und dann mit seinem Superluxusboot! Es schlingerte nun die Höllentalklamm hinunter. Perfektes Eindrehen des Bootes knapp neben der Kehrwasserlinie. Wer machte ihm da die Freude, die Teststrecke auszuprobieren? Wo kamen die vielen Scheinwerfer her? Und waren da nicht sogar Menschen zu erkennen? Viele, entsetzt in der Gegend herumschreiende Menschen? Wer hatte denn die alle herbeigerufen?
Arri holte weit aus, um die Handgranate nach oben zu werfen. Genau in dem Augenblick zog und schlingerte das Boot stark nach hinten. Er versuchte, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, er ruderte mit den Armen – die Handgranate fiel ins Wasser. Er musste versuchen, schleunigst hier wegzukommen. Er setzte sich wieder, spreizte sich mit den Beinen ein und ruderte mit
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