Oberwasser
voller Kraft, um wieder ins Fahrtwasser zu gelangen. Warum war dieses Kajak plötzlich so instabil und fast unmanövrierbar? Er drehte sich um: Ein Kopf war aus dem Wasser aufgetaucht, zwei Arme versuchten, sich am Heck festzuhalten, sie rutschten immer wieder ab, aber sie kamen auch immer wieder hoch. Das Boot wurde dadurch stark unter Wasser gedrückt. Was war das schon wieder für ein Idiot? Er holte aus und schlug mit dem Ruder auf den Kopf dieses lästigen Anhängsels. Er traf nicht. Er zielte auf die Hände, er verlor das Gleichgewicht, kippte um und kenterte mit dem Boot. Der Cowtail, die Sicherungs-Reepschnur, die Arri mit dem Kajak verband, spannte sich, das Boot fraß sich in einen nächsten Strudel, er wurde nachgezogen. Das Boot kippte, überschlug sich und wurde kopfüber weitergerissen. Arri Verbrecher und Maria Schmalfuß trieben im wütenden Weißwasser, innerhalb von einer Sekunde war nichts mehr von ihnen zu sehen.
Polizeiobermeister Johann Ostler war jetzt schon dreißig Sekunden untergetaucht, aber die Zeit dehnte und streckte sich. Immer wieder riss er die Augen auf, um nach Maria Ausschau zu halten. Jetzt wurde er sanft ins Unterwasser gezogen, das von den Scheinwerfern noch matt beleuchtet wurde. Unheimlich still war es hier unten, im eiskalten Reich der Wassernixen und Nöckwurze, es wurde immer ruhiger, und er wusste, dass die Stille trügerisch war, dass es umso gefährlicher wurde, je weiter man nach unten kam. Diese eine Ausbuchtung wollte er sich noch ansehen, vielleicht auch die nächste, noch etwas tiefere. Es gab keine Spur von Maria.
Hubertus Jennerwein spurtete nach unten. Ihm war vorher beim Aufstieg, etwa fünfzig Meter klammabwärts, eine Stelle im Wasser aufgefallen, an der sich viel Treibholz gesammelt hatte. Vielleicht konnte er Maria von dort aus helfen. Rasch sprang Jennerwein über die Absperrung, lief den Weg nach unten, die verdutzten Reporter links und rechts wegstoßend. Diesmal wurde sogar eine Gasse gebildet, so entschlossen und grimmig sah der Kommissar aus. Nach einer Minute Abwärtssprint war er an der Stelle angekommen. Das Gerümpel, das sich dort gesammelt hatte, bestand aus kleineren Ästen, Moos und Laubwerk, all das würde irgendwann einmal zu schwer werden und auf einen Schlag weitergespült werden. Nach der Abrisskante schoss ein dröhnender Wasserfall fünf Meter auf eine ebene Steinplatte zu. Das Prallpolster war enorm. Was Jennerwein gerade vorhatte, war ein lebensgefährliches Unterfangen, aber er musste es riskieren. Jennerwein stieg über die Wegbegrenzung, sprang die zwei Meter hinunter und ließ sich auf dem wackligen Gebilde nieder. Er blickte flussaufwärts, doch außer wildschäumenden Schaumkronen konnte er nichts erkennen. Er blickte nach oben, zum Hochweg. Dort sah er Nicole. Sie war ihm nachgelaufen, winkte mit dem Sicherheitshelm.
»Werfen Sie ihn runter!«
Schnell streifte Jennerwein den Helm über, dann blickte er wieder angestrengt flussaufwärts. Als Erstes kam das Boot. Immer noch kopfüber, schlingerte und schlenkerte es herrenlos umher und verfing sich schnell im Gestrüpp und Gewirr des Treibholzes. Aber es stabilisierte dieses wacklige Gebilde auch ein wenig. Dann sah er den schwarzen Mann, der versuchte, mit mächtigen Stößen zu schwimmen, natürlich hatte er keine Chance, er wurde durch wild tosende Strudel getrieben und wie ein Ball von Stromschnelle zu Stromschnelle gekickt. Das Wasser hatte ihm wohl die Maske vom Kopf gerissen. Jennerwein konnte für eine Sekunde sein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht sehen.
Arri wusste, dass er es gleich geschafft hatte. Dann war er gerettet. Absolute Weltpremiere, die Höllentalklamm schwimmend zu meistern. Aber da vorne, auf einem Haufen Treibholz, der vor ein paar Stunden noch nicht dagewesen war, saß da nicht schon wieder jemand? In dem V-förmigen Durchlass zwischen zwei Felsen hatte sich viel Holz und Laub verfangen, dieser Pfropf in der Felsspalte würde sich immer mehr verdichten, dem Wasser eine immer größere Angriffsfläche bieten, irgendwann instabil werden und weitergerissen werden. Doch er kannte die Klamm. Er musste nur so weit über den Abbruch springen, dass er nicht auf der großen, tödlichen Felsplatte unten aufkam. Aber welcher Irre hatte sich da auf das Treibholz hinaufgewagt? Egal, er musste an ihm vorbei, dann war er gerettet.
Konrad Finger saß immer noch nackt vor dem Bildschirm. Seit er aus der Badewanne gestiegen war, hatte er noch keine
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