Oberwasser
waren sie nach Murnau gefahren und spazierten nun in den sanft geschwungenen Ebenen des Blauen Landes um das Murnauer Moos herum. Die Gemeinde am Staffelsee lag ein paar Kilometer nördlich des Kurorts, und das Wort
malerisch
klebte an Murnau wie feuchtes Gras am Schuh. Die Liste der Maler, die hier gewirkt hatten, war eindrucksvoll: Kandinsky und Münter hatten hier gewohnt, die Blauen Reiter Marc und Macke hatten hier gepinselt, Dürer, Kubin, Klee und Konsorten waren aquarellierend, gouachierend und anderweitig klecksend hier durchgereist. Seitdem watete man in Farben, schlenderte durch Motive, versumpfte in Zentralperspektiven. Selbst die Kühe waren hier nicht einfach bräunlich gefleckt, sondern mit dem Rotmarderpinsel Nr. 4 orangeocker-indischgelb getupft. Der Himmel war pompeijanischblau, das Ortsschild jaune brilliant tief bis zitronengelb, die Dachziegel kadmiumrot foncé, natürlich mit dem berühmten kleinen Verlauf ins Drachenblutrote. So wie in Schliersee und Reit im Winkl das Hollaradri-jo und Drei-dulijö durchgehend die Gassen durchtönt und bestimmt, erstickt man in Murnau schier im Colorigen.
Jennerwein hatte den geheimnisvollen Schnellhefter mit dem (jetzt kann man es ja sagen: permanentsignal-) roten Umschlag wieder abgegeben, und sie wussten so gut wie alles über die acht verdeckten Ermittler, die im Kurort gegen das organisierte Verbrechen kämpften.
»Wir müssen schnellstens unser gefaktes Verbrechen im Kurort inszenieren«, sagte Jennerwein und betrachtete dabei einen kleinen Bach, der silberglitzernd dahinfloss. »Hat jemand Vorschläge?«
»Ich weiß was!«, sagte Nicole. »Mitten im Kurort, im Zimmer eines renommierten Hotels wird eine Leiche entdeckt. Es besteht dringender Verdacht auf ein Gewaltverbrechen. Wir werden gerufen, wir kommen hin und ermitteln. Ist leicht vorzubereiten, ist technisch leicht machbar, verschlingt keine großen Steuergelder.«
»Das ist ein guter Anfang«, sagte Jennerwein, »aber es ist mir zu wenig öffentlich. Das Ereignis sollte schon etwas mehr Aufruhr und Empörung im Ort verursachen. Lassen Sie uns von den Mutmaßungen und Spekulationen der Einheimischen profitieren. Wir müssen die lokalen Ratschkathln und Quackelfritzen dazu bringen, Namen und Orte zu nennen, die wir nicht in unseren Wanderkarten finden.«
Sie kamen auf eine kleine Anhöhe, von der aus man einen guten Blick aufs Murnauer Moos hatte. Ein Schild wies darauf hin, dass Henri Matisse hier schon mal gestanden hatte. Und tatsächlich, die bunte Blumenpracht dort unten hing im Louvre. Die Alpenkämme im Hintergrund hätte Paul Cézanne hingetupft haben können, der Wald hatte etwas Schräges, vielleicht von Joan Miró. Ludwig Stengele stand da wie eine Figur von Arno Breker.
»Wie sieht es mit einem schönen, satten Banküberfall aus?«, schlug der Allgäuer vor. »Den Täter spielt einer von uns. Ich hab auch noch eine alte Skimütze zu Hause. Der Bösewicht entkommt und versteckt sich, irgendwo im Kurort. Wir schnüffeln herum und sammeln nebenbei unsere eigenen Informationen.«
»Das gefällt mir schon besser«, entgegnete Jennerwein. »Großer Nachteil bei einem Überfall auf ein Geldinstitut: Wir müssten die Angestellten der Bank ins Vertrauen ziehen. Und für die gilt der Paragraph 353 b beim besten Willen nicht mehr.«
»Andere Idee«, sagte Hansjochen Becker. »Wir inszenieren einen Schusswechsel in der örtlichen Spielbank. Die Spielbankmitarbeiter sind bayrische Beamte wie wir – oder zumindest Angestellte im öffentlichen Dienst. Die können wir im Vorfeld auf staatsbürgerliche Treue überpüfen, dann ins Vertrauen ziehen. Vorteil bei der Sache: Es geht ums große Geld. Das weckt Begehrlichkeiten. Der Täter versteckt sich irgendwo und hat angeblich einen Haufen Kohle dabei. Das schürt Spekulationen.«
Hansjochen Beckers Augen leuchteten. Man sah es ihm an: Endlich durfte er als Spurensicherer aktiv falsche Spuren legen und musste nicht den Spuren anderer hinterher hecheln.
»Nicht schlecht, die Idee mit der Spielbank«, sagte Jennerwein. »Das sind mir aber erstens immer noch zu viele Leute, die wir in das Geheimnis unseres Fake-Verbrechens einbeziehen müssen. Und zweitens: Ein Überfall auf die Spielbank erzeugt im Ort nicht den Empörungsgrad, den ich will. Verstehen Sie: Mit der Spielbank wird ein Symbol der Großkopferten, der internationalen Bourgeoisie angegriffen. Da kocht der Volkszorn nicht so sehr hoch.«
»Wie wäre es mit einem Ehrenmord?«,
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