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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Dattelberger hatte zum Angriff geblasen. Er hatte die besten Offiziere, die es gab.

11 .
    Stellt man sich eine kleine mittelständische Firma mit dem Namen
Zarathustra Solutions
vor, eine Zulieferfirma für die Automobilbranche beispielsweise, eine kleine GmbH mit sorgsam ausgewählten, hochmotivierten Mitarbeitern, dann wird man den nächsten Schritt nicht ganz ins Reich des Phantastischen verweisen können, nämlich den, dass die Umsatzkurve schon im zweiten Geschäftsjahr (nicht kometenhaft, aber doch stetig ansteigend) auf einen ersten Höhepunkt von 2 , 6  Mio klettert. Man kann sich ferner vorstellen, dass der Umsatz sogleich wieder sinkt. Gründe dafür gibt es genug, seien es die hundsgemeinen gesetzlichen Vorschriften, die abflauende Konjunktur, die Unwägbarkeiten des Weltmarkts. Der Einbruch ist nicht dramatisch zu nennen, aber immerhin gibt es im vierten Geschäftsjahr eine Talsohle in der Gegend von 1 , 4  Mio. Die Oberen setzen sich zusammen und beratschlagen, was denn nun zu tun sei. Sie beschließen, einen wirtschaftlich beschlagenen, solide agierenden Gesellschafter ins Boot zu holen, und der schafft es tatsächlich, dass der Umsatz bei
Zarathustra Solutions
im fünften Jahr einen zweiten, etwas geringeren, aber, wenn man so will, dauerhafteren Höhepunkt erreicht. Man landet schließlich auf einem Sattel von 2 , 2  Mio. In der Folgezeit wackelt die Umsatzkurve ein wenig, sie zittert in luftigen Höhen, hält sich aber brav oben, das Firmenergebnis schwankt zwischen 1 , 8 und 2 , 3  Mio. Und dann, im siebten Jahr kommt das, was eben kommen muss: Schroff geht es bergab mit der Firma, wie Geröll stürzen die Forderungen der Gläubiger auf die Gründer, die Banken stehen still und schweigen. So geht es bis zum bitteren Ende von
Zarathustra Solutions
, der Liquidation und der Streichung aus dem Handels- und Rotaryregister nach sieben Jahren stetigen Mühens. Führt man sich die Historie dieser Firma vor Augen und zeichnet sie auf ein kariertes Blatt, so erhält man eine Kurve, die gerade Touristen im Werdenfelser Land außerordentlich bekannt vorkommen muss:

    Die bekannte Silhouette, die Ansicht der schroff aufsteigenden Alpspitze (die zum Wahrzeichen des Kurorts geworden ist) und der wuchtigen Waxenstein-Gruppe, hinter der die allseits bekannte Zugspitze lauert, wird seit Jahrzehnten im Heimatkundeunterricht der örtlichen Volksschulen auf genau diese Art und Weise gezeichnet, und die Schüler des Werdenfels-Gymnasiums merken sich die flotten miozänischen Auswölbungen von Trillionen Tonnen Kalkgestein wesentlich besser, wenn sie das Wettersteingebirge aus der Businesskurve von
Zarathustra Solutions
ableiten. Der Zusammenhang zwischen barock-gebirgiger Landschaft und dem ständigen Auf und Ab der gezackten Umsatzkurve ist naheliegend, eng und unausweichlich. Menschen, die sich für wirtschaftliche Zusammenhänge interessieren, besteigen auch Berge. Schon Adam Smith, der Ahnherr allen kapitalistischen Denkens, der Entdecker des menschlichen Hauptantriebs, des Raffs und
Ruachs
, er war ein begeisterter Bergsteiger.
     
    Die Manager vieler örtlicher mittelständischer Betriebe warfen, wenn die Geschäfte wieder einmal lahmten und schleppten, einen Blick aus dem Fenster, hin zur Alpenkulisse im Süden des Tals, und anstelle eines altmodischen Bittgangs zur Wallfahrtskirche St. Anton wanderten sie mit ausgewählten Hoffnungsträgern hinauf zur Höllentalhütte und stiegen, symbolisch, wieder auf zu den Höhen des schroffen Waxensteingebirges.
    »So«, sagten sie dann und zahlten den Eintritt zur Höllentalklamm, »so wird es mit uns auch wieder aufwärts gehen.«
    Und genau auf diesen Punkt der Kurve, auf den Beginn des steilen Aufstiegs zum Kleinen Waxenstein, starrte der Manager Konrad Finger, leitender Mitarbeiter einer großen Weltfirma der Telekommunikationbranche. Er hob seinen Blick. Wie andere auf den stillen finnischen See oder das wogende Meer hinausträumen, blickte er sinnend auf die hohen Berge, die ihn so an seine gezackten Kurven erinnerten, mit denen er im Manageralltag herumfuhrwerken musste. Seine Theorie: Ingenieure fahren an die See, blicken hinaus, um über ihre kleinen, unbedeutenden, in den meisten Fällen vollkommen nutzlosen Erfindungen nachzudenken. Manager jedoch gehen zum Bergsteigen, und von allen Seiten prasseln visionäre Ideen und zukunftsweisende Geistesblitze auf sie ein.
     
    Konrad Finger packte sein Kanu hochkant und legte es ins Wasser. Hier am Oberlauf der

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