Oberwasser
mit.«
»Nein, ich will nur wissen, woher der Händler die Münzen bezieht.«
»Er gräbt sie aus, mit der Schaufel.«
Der Marokkaner lachte.
»Nein, Spaß. Er hat sie von einem spanischen Münzgroßhandel. Ist irgendwo in Ceuta oder Málaga.«
»Wie heißt der Münzgroßhandel?«
»Kann ich rausbekommen.«
»Bis wann?«
»Warte hier.«
Nach einer Stunde kam er wieder zurück und nannte ihm die Adresse eines Münzhändlers in Südspanien. Oliver Krapf entlohnte ihn reichlich, er ging zum Bahnhof und löste ein Ticket für Zug und Fähre nach Málaga. In der Wartezeit brach er die Übereinkunft, die die fünf Freunde für diesen Urlaub getroffen hatten und nahm in einem Internetcafé ein paar tüchtige Inhalationen aus dem Netz. Ahhh! Das war doch herrlich, in Foren einzudringen, in digitalen Lexika herumzuschnüffeln und der ganzen verschwitzten realen Umgebung ein Schnippchen zu schlagen. Das galt zu Hause in seinem Kaff, in dem er wohnte, genauso wie in Fès. Das Säckchen mit den Münzen hatte er dem marokkanischen FC -Bayern-Anhänger geschenkt, sie waren wahrscheinlich ohnehin nichts wert. Das bewusste Geldstück, die bekritzelte Münze, das Objekt seiner detektivischen Begierde hielt er fest umklammert. Sein Zug fuhr erst in ein paar Stunden. Mit zittrigen Fingern schraubte er jetzt die Leselupe zusammen, für die er fast die Hälfte seines Reisegelds ausgegeben hatte. Er fuhr die Münze Millimeter für Millimeter ab. Sie hatte enorm viele Kratzspuren, Hunderte von kleinen Schrammen und Dellen. Die Gravur jedoch, die ihm als erstes ins Auge gefallen war, das Gekritzel, das er erst als LUK M gelesen hatte, war wohl mit einem scharfen Gegenstand eingehämmert worden. Die Buchstaben waren nicht mit einem Schwung eingeritzt, die Linien brachen an mehreren Stellen ab und waren dann wieder neu angesetzt. Diese Art der Beschriftung überraschte ihn nicht, die Oberfläche einer Münze war sicherlich so hart, dass man ihr mit einer normalen Nähnadel wohl kaum zu Leibe rücken konnte. Im Netz fand er heraus, dass Münzen meistens aus Kupfernickel, Zinn-, Gold- und Silberlegierungen bestanden, die Oberflächen konnten verschiedene Härtegrade haben, ganz harte Oberflächen konnte man nur noch mit Diamanten bearbeiten. Wenn er wusste, wie die Schrift eingestanzt oder eingeritzt worden war, ob mit einer aufwendigen Technik oder nur so nebenbei, dann wäre er schon ein Stück weiter, da war er sich ganz sicher. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg und wie sein Herz raste. Er konnte der Ausstrahlung dieser Münze nicht widerstehen. Und eines wusste er: Er würde diese Münze nie aus der Hand geben, um sie von einem anderen untersuchen zu lassen. Diese Münze hatte ein Geheimnis. Auf ein Geldstück kritzelte man nicht einfach etwas hin, wie auf eine Schulbank oder eine Toilettentür. Wer sich die Mühe gemacht hatte, auf diesem kleinen außergewöhnlichen Datenträger eine Nachricht zu hinterlassen, der war in Not. Es war ein Hilferuf. Da war sich Oliver Krapf ganz sicher. Er musste nur noch die Schriftzeichen entschlüsseln.
Die Schrift selbst war gut erkennbar, vor allem deshalb, weil die Schriftrillen durchgängig eine bräunliche Verfärbung aufwiesen, so etwas wie Rost. Aber eine Münze rostet doch nicht? Vielleicht doch. Das wollte er alles zu Hause klären, vielleicht mit einem Metallbestimmungs-App, wenn es so etwas gab. Er sah sich nochmals das LUK M oder LUK A an. Das M oder A war nur auf den ersten Blick ein Buchstabe, bei genauerem Hinsehen konnte man die Inschrift auch als LUK 111 lesen. Er tippte Lukas hundertelf als Suchbegriff ein, ein solches Kapitel gab es im Lukasevangelium jedoch nicht. Kapitel elf? Das existierte wiederum, es handelte vom richtigen Beten, von
Unser tägliches Brot gib uns heute
und
Vergib uns unsere Schuld
und ähnlichen christlichen Nebelkerzen. Machte sich aber jemand die Mühe, auf eine Münze den Hinweis auf das weltbekannte Vaterunser einzustanzen? Die mittlere Eins der Zahl Hundertelf war niedriger gestellt, er hatte eine neue Idee.
LUK 1 , 1
Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat.
Das war der Anfang des Lukasevangeliums, der Beginn der bekannten Weihnachtsgeschichte mit Josef und Maria. Doch wozu wieder der Aufwand? Weihnachtsgrüße auf einer Münze? Sein Zug fuhr in einer halben Stunde. Das LUK konnte man auch als SUR lesen. War es eine Sure des Koran? Das Auftauchen der
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