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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Münze im arabischen Fès hätte dazu gepasst. Er tauchte wieder ins Netz ein. Die Sure hundertelf war äußerst geheimnisvoll, das waren gleich hundertelf Nebelkerzen, da waren die christlichen Geheimnisse gar nichts dagegen. Wer war die Frau, die als »elende Brennholzträgerin« bezeichnet wurde? Die Sure elf war wiederum sehr lang und vollkommen unverständlich für jemanden, dessen Wissen über den Orient nicht über drei, vier Stunden Wahlkurs Arabisch hinausging. Er schrieb sich sowohl die Bibelstelle als auch die Koranstelle auf und bestieg den Zug nach Málaga. Sein kryptologisches Jagdfieber hatte seinen kritischen Verstand fast ausgeschaltet.

15 .
    Manche lernen es nie, manche rumpeln immer wieder hinein in dieselbe Gefahr, aus der sie gerade eben mit Müh und Not entkommen sind. Man möchte fast meinen, sie sind nur deswegen froh, der Bedrohung entronnen zu sein, weil sie gleich darauf auf der Hacke umdrehen und sich erneut in den finsteren Wald mit den spitzen Messern und gespannten Fallen stürzen.
     
    Der Mühlriedl Rudi und die Holzmayer Veronika (Sägewerk und Apotheke) waren wohl solche Zeitgenossen, und das gleich in mehrerer Hinsicht. Zunächst einmal waren sie natürlich beide nicht zur Polizei gegangen, nicht zusammen und nicht einzeln, das ist ja noch verständlich. Schließlich vernebelte sich die Erinnerung an die Schrottplatzmondnacht vor sechs Wochen derart, dass ein Gang zur Polizei jetzt überhaupt keinen Sinn mehr gehabt hätte. Sie hatten sich seit der verpatzten Mainacht nicht mehr getroffen. Sich ganz aus dem Weg zu gehen war jedoch in solch einem kleinen Ort fast nicht möglich. Und so geschah das, was geschehen musste. Der Mühlriedl Rudi war mit seiner Gattin beim Einkaufen, sie bezahlten gerade an der Kasse.
    »Komm, gehen wir noch bei der Holzmayer-Apotheke vorbei«, sagte die Gattin unvermittelt, »die sollen ein neues Entschlackungs-Dragee im Angebot haben.«
    »Da kannst du allein hingehen.«
    »Warum willst du denn nicht mitgehen?«
    »Die Holzmayer-Apotheke ist doch vollkommen überteuert.«
    »Jede Apotheke ist überteuert, und dir würde so eine Entschlackung auch nicht schaden.«
    Jetzt nochmals zu widersprechen, wäre auch irgendwie aufgefallen, dachte der Rudi, und so ging er halt mit. Tatsächlich stand die Chefin im Laden, die Apothekerin Veronika Holzmayer, der Gatte war auch da, er mischte im Hintergrund irgendetwas zusammen, verflixt, das kann ja was werden, dachte der Mühlriedl Rudi. Man musste sich jetzt siezen, und man durfte auch nicht zu fremd tun, sonst fiel es ja auch wieder auf. Die richtige Frau Mühlriedl bemerkte offensichtlich nichts, der Mühlriedl Rudi hingegen bemerkte an diesem Nachmittag etwas ganz Wesentliches, nämlich dass das Fremdgehen recht wenig zu tun hat mit irgendwelchen erotischen Bedürfnissen, sondern mit der archaischen Lust an der Gefahr, so wie man sich zwischen die Schienen legt und einen Zug drüberfahren lässt. Der Rudi schaute die Veronika an und er wusste, dass auch sie so dachte. Die beiden nickten sich zu, unmerklich und leise. Es war ein unglaublich kleines, ein homöopathisches Nicken von der Nickstärke D 20 , das nur Verräter und Untreue bemerken. Und noch am Abend desselben Tages schlichen sie sich schon wieder aus den ehelich-trauten Häusern, quer durch das Dorf –
Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten
 – hin zum morbiden Eisenreich des alten versoffenen Heilinger Herbert.
     
    Der schöne Kuschelmercedes war nicht mehr da, aber ein schwer lädierter Geländewagen, den es auf einer Forststraße seitlich erwischt hatte. Der Mond hing über der Alpspitze wie ein eingerollter Mittenwalder Weißfelldachs, die Grillen zirpten, die Eisenteile schwangen sich wieder einmal zu großen harmonischen Kühnheiten auf – beide stiegen in den Opel. Die Frau Apothekerin, gerade vor ein paar Stunden noch mit solchen Dingen wie 1 -Methyl- 7 -oxo- 3 -ethoxyphenyl-Mischungen und Kampferkraut-Essenzen gegen Orangenhaut und Neurasthenie beschäftigt, streifte jetzt wieder ihre Handtasche ab, und sie zog sogar ihre Schuhe aus. Auch der Rudi entledigte sich seines grob gewirkten, seines
wurchernen
Jankers, und es hätte nicht viel gefehlt, da hätte er auch noch seinen Hut abgenommen.
     
    Ging es jetzt los? Führten sie nun das zu Ende, was sie im Benz begonnen hatten? Mitnichten, so muss man es sagen. Sie saßen noch eine Weile lauschend und sinnend da, sie hörten wieder auf die kleine Rhapsodie, die die verbogenen

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