Oberwasser
warf Maria ein. »Das ist doch unbestritten ein Delikt mit einem großen Empörungsgrad.«
»Auch nicht schlecht, Maria, aber das ist mir dann doch eine Idee zu brisant. Hier wäre mir das öffentliche Interesse wieder zu groß. Ein Ehrenmordversuch, der läuft auf allen Fernsehkanälen, da interessiert sich die internationale Presse dafür, das verschreckt vielleicht auch unsere Herrschaften von der Mafia. Wir müssen einen Gang runterschalten.«
»Vielleicht wollte die Frau Doktor mal ins Fernsehen kommen und dort den üblichen Nahostkatastrophenexperten Konkurrenz machen«, stichelte Stengele. Die beiden mochten sich nicht, der Naturbursch und Frau Doktor Kopf. Maria blickte in die andere Richtung. Nicole Schwattke pflückte ein lasurgraues Gänseblümchen und steckte es ins Knopfloch. Sie streckte die Hand nach einer anderen Blume aus.
»Vorsicht, das ist eine violette Drosselkopfprimel, die sollten Sie nicht ausreißen, die steht unter Naturschutz«, sagte Stengele.
»Wirklich? Ich dachte, es wäre ordinäre Katzenminze.« Sie zog ihr Smartphone heraus. »Gut, dass ich einen Botanisierungs-App runtergeladen habe.«
Es vergingen keine zwanzig Sekunden, da zeigte Nicole dem verdutzten Stengele triumphierend den Sichtschirm des Smartphones.
»Katzenminze, habe ichs doch gesagt.«
»War eh nur ein Scherz«, sagte Stengele. »Die violette Drosselkopfprimel gibts gar nicht.«
»Bitte wieder zur Sache, meine Herrschaften!«, mahnte Jennerwein. »Die Zeit drängt. Lassen Sie uns die Idee festhalten, dass ein Täter untertaucht und im Ort verschwindet, so dass es nicht auffällt, wenn wir überall herumschnüffeln – diesen Ansatz finde ich schon mal sehr gut.«
Es wurde Abend. Der Himmel färbte sich vom hellsten Coelinblau mit weichem Türkisstich ins Praseodymgelb-Ockrige, und das war auch das Mindeste in Murnau. Der Mond war schon zu sehen, ein Elfenbeinweiß-Getüpfle van Goghs, oder ein heller, kräftiger Klacks Sumpfkalkl von Kandinsky, vielleicht auch nur ein hingehuschtes Patzerl Deckweiß von einem ungeschickten Malschüler der ersten Klasse.
»Wir brauchen also einen sympathischen Täter, so etwas wie Robin Hood, Karl Moor oder Che Guevara, den die Bevölkerung jederzeit verbergen würde.«
»Und an wen oder was denken Sie da, Chef?«
13 .
Mondhelle Nacht. Hintereingang einer Wirtschaft. Ein Mann in oberbayrischer Tracht öffnet seinen Rucksack.
Wilderer Was is, Unterwirt, magst a Gams? Frisch gschossen!
Der Wirt zögert. Plötzlich hört man das Martinshorn. Ein Polizeiauto fährt in den Hof.
Lautsprecherstimme Geben Sie auf, Sie haben keine Chance!
Wirt Lauf durch die Küch!
Der Wilderer verschwindet im Haus. Die Polizeibeamten stampfen ärgerlich auf.
14 .
Oliver Krapfs erster Impuls war es gewesen, seine Sachen zu packen und sofort den nächsten Zug zu nehmen, heim ins Land der vernetzten Netze und der unbeschränkten Kommunikation. Zu hause an seinem Rechnerplatz wollte er sich dann in die einschlägigen Foren stürzen, um alles, aber auch alles über Münzen, Prägungen und Inschriften, Vorder- und Rückseiten, Münzfüße und Metalllegierungen zu erfahren. Er verabschiedete sich von seinen Freunden. Es läge nicht an ihnen, er vertrüge nur das Klima nicht. Die sommersprossige Tina bekam einen traurigen Gesichtsausdruck, sie wollte noch etwas sagen, doch Dirk stieß sie leicht mit dem Ellbogen an, und so schwieg sie. Oliver Krapfs Gesichtsfeld war so eingeschränkt, er war so fiebrig, so gebamboozled, dass er das nicht bemerkte.
Er beschloss, nochmals zu dem Pfefferminz-Teppich-Händler zu gehen. Er stand vor dem Bazar und überlegte, ob er den Händler einfach ganz naiv und unverschämt fragen sollte, woher er denn seine schönen Münzen bezog. Krapf verwarf den Gedanken. Der Händler sah nicht so aus, als würde er Geschäftsgeheimnisse verraten. So stand Oliver Krapf eine Weile da und beobachtete den Haupteingang des Ladens.
»Unentschlossen?«, fragte eine Stimme direkt hinter ihm. Er drehte sich um. Ein Marokkaner in Jeans und einem T-Shirt mit FC -Bayern-Aufdruck stand vor ihm und lachte ihn zahnlückig an.
»Führung gefällig?«
»Nein, danke. Ich will eigentlich nur was wissen.«
Der Marokkaner zog die Augenbrauen hoch.
»Zehn Dirham für einfache Fragen, fünfzig für komplizierte.«
»Der Bazar dort drüben verkauft doch auch Münzen –«
Der Marokkaner verzog das Gesicht.
»Schlechte Münzen, billiges Zeugs – ich weiß was Besseres. Komm
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