Oberwasser
kennt man uns dort, wir sollten uns also etwas einfallen lassen.«
»Vielleicht kommen wir als Wanderurlauber?«, schlug Maria vor. »Wir wären nicht das erste Team, das gemeinsam Urlaub macht.«
»Sechs Wochen wandern?«, prustete Stengele los. »Das ist so abwegig, dass es schon wieder gut ist.« Stengele konnte seine Sticheleien gegenüber Maria nicht lassen. Die ließ sich nicht provozieren.
»Also doch falsche Bärte und aufgeklebte Nasen?«
»Nein«, sagte Jennerwein. »Wir werden uns einen fiktiven Fall zusammenbasteln, in dem wir offiziell ermitteln. Dadurch können wir sofort mit unseren wirklichen Ermittlungen beginnen. Es ist realistisch, dass sich die Auflösung solch eines Fake-Falls vier bis sechs Wochen hinzieht. Auf diese Weise können wir uns unauffällig im Ort bewegen, können Befragungen durchführen, und uns unserer eigentlichen Aufgabe zuwenden.«
»Ein Fake-Verbrechen?«, fragte Nicole Schwattke skeptisch.
»Ja, es muss etwas sein, mit dem wir nicht nur die Presse füttern und die öffentliche Aufmerksamkeit ablenken können. Es muss darüber hinaus eine Ermittlung sein, mit der wir die Operation Werdenfels keinesfalls stören und mit der wir gleichzeitig die Mafia und den Verräter in den Reihen des BKA -Ermittlungsteams in Sicherheit wiegen.«
»Geniale Idee«, rutschte es Maria heraus.
»Danke, aber die Idee ist eigentlich nicht von mir«, sagte Jennerwein, auf einmal bübisch verschmitzt. »Kennen Sie den berühmten Scheinangriff des bayrischen Generals Nepomuk von Dattelberger im bayrisch-österreichischen Krieg 1735 ?«
»Fangen Sie jetzt auch mit historischem Zeugs an, Chef«, fragte Stengele und war ernsthaft besorgt. Jennerwein lachte. Er legte ein paar Bleistifte auf den Tisch, als wolle er damit die Abseitsregel erklären.
»Hier standen die Österreicher, hier eine bayrische Kompanie unter der Führung des Generals. Die Bayern waren völlig chancenlos, aber sie haben den glaubhaften Anschein eines Vorstoßes erweckt. Hier hat er den Scheinangriff angesetzt, der Dattelberger, hier den wirklichen Angriff. Die Österreicher mussten sich schließlich geschlagen geben.«
Jennerwein stand auf.
»Becker, Sie werden diesen Scheinangriff organisieren. Sie suchen diesmal keine Spuren, Sie legen welche. Arbeiten Sie mit Ostler und Hölleisen zusammen. Wir wählen uns ein Kapitalverbrechen aus, das in unser Ressort fällt. Mord, Totschlag, räuberische Erpressung. Dann erst gehen wir ins Tal der Verzweiflung und dattelbergern, was das Zeug hält.«
Becker strahlte, Jennerwein geriet in Schwung.
»Wir anderen kümmern uns um die eigentlichen Verbrechen, nämlich die beiden Vermissungen mit Mordverdacht. Stengele, Sie besorgen sich sofort eine genaue Karte des Loisachtals, am besten ein Messtischblatt, auf dem Sie die Stellen markieren, an denen es gut möglich ist, zu verschwinden, unterzutauchen, sich in Luft aufzulösen – Sie wissen, was ich meine. Maria, Sie erstellen die Persönlichkeitsprofile aller dieser Verdeckten, natürlich auch von den beiden Vermissten. Wir müssen ausschließen können, dass die beiden aus privaten Gründen abgetaucht sind.«
Maria salutierte.
»Ach ja, Maria, ich habe noch einen Spezialauftrag für Sie. Sie legen sich einen Hund zu, einen Mantrailer aus unseren Polizeibeständen natürlich. Er soll die Witterung von Fred Weißenborn und Adrian Dombrowski aufnehmen. Der Hund soll nicht nach einem Polizeihund aussehen, es soll eher so scheinen, als hätten Sie sich halt einen Hund zugelegt und haben niemanden gefunden, der auf ihn aufpasst.«
»Zwei Nasen riechen mehr als eine«, sagte Maria.
»Nicole, Sie und ich gehen nochmals die Details aus dem Fall durch, vielleicht finden wir noch etwas.«
»Ich könnte die Akten schnell scannen und auf meinen Computer laden. Das merkt doch keiner.«
»Auf keinen Fall. Ich habe die nötigen Daten im Kopf.«
Alle zogen verwundert die Augenbrauen hoch. Hatte Jennerwein ein gusseisernes Gedächtnis? Hatte er die hundert Seiten mit Daten so schnell auswendig gelernt? Niemand außer ihm selbst wusste den wahren Grund, warum er sich manchmal Dinge besser merken konnte als andere. Er hatte eine Krankheit. Er litt an Akinetopsie. Doch manchmal hatte diese Krankheit auch ihre guten Seiten.
»Auf gehts. Sagen Sie alle privaten Termine bis auf Weiteres ab. Ich brauche Sie alle, und das rund um die Uhr. Wir müssen schnell und konzentriert handeln, wenn wir die zwei Beamten retten wollen.«
General
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