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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Sechzigerjahren. Mein Vater, der auch Gendarm war, hat da ein Feld mit wilden Mohnpflanzen gefunden. Er hat festgestellt, dass sie regelmäßig geerntet worden sind. Schon damals hat die Polizei viel zu wenig Personal gehabt. Deswegen hat man nie rausgefunden, wer das war.«
    »Es gab Werdenfelser Mohnbauern?«
    »Ja«, sagte Hölleisen junior fast stolz. »Und sie haben sich, ganz werdenfelserisch, nie erwischen lassen.«
    »Ein idealer Transportweg«, bestätigte Ostler. »Die Ernte wird zum Mühlbach gebracht. Sie treibt zum Hartl-Hof, der Hartl-Bauer greift sie sich, verarbeitet sie zum fertigen Produkt, steckt alles wieder in die Röhre, vom Mühlbach in die Loisach, von der Loisach in die Isar, die Isar bringt den Stoff nach München, direkt ins Café Schickimicki – keine Spuren.«
    »Sakra nochmal«, rief Jennerwein und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Wir haben hier unseren Fall zu lösen! Wir sind immer noch nicht weitergekommen – um Opiumküchen und Heilquellen kümmern wir uns später!«
    Das hatte gesessen. Niemand sagte etwas. Alle gingen wieder an ihre Arbeit. Sie lasen Zeugenaussagen, studierten Landschaftskarten und beobachteten nymphengleiche Giselas mit farbigen Badekappen.
    »Dass Schnäuzelchen sich nicht meldet, macht mir Sorgen«, sagte Nicole Schwattke. »Am liebsten würde ich ihm entgegengehen. Das mache ich natürlich nicht – ich schnappe ein wenig frische Luft.«
    »Warum eigentlich Schnäuzelchen«, fragte Becker, als Nicole in der warmen Nacht verschwunden war. »Wegen des Schnauzbartes?«
    »Nein«, sagte Jennerwein. »Wegen seines Namens. Er heißt Florian Beerschnauz. Wenn man mit solch einem Namen geschlagen ist –«
    Alle schmunzelten.
     
    Sie schmunzelten nicht. Sie blickten ernst und bitter drein. Sie glichen einem Ehepaar, das den Hund spazierenführt und auf die bekannte matrimoniale Art und Weise vor sich hinschweigt. Die Frau war staksig wie eine Bohnenstange, mit ägyptisch dünnspitzer Nase, der Mann war ein sonnengebräunter grobporiger Naturbursche mit eckigem Gang. Das einzige, was sie verband, war der Polizeidienst und der momentane gemeinsame Einsatz. Jeder, der sie auf der Straße sah, hätte gesagt, die beiden passen nicht zusammen, und sie passten auch nicht zusammen. Aber wer tut das schon.
     
    Ludwig Stengele wies auf die Riesenbaustelle, die sich vor ihnen auftat. »Dort wird ein Luxushotel für die ganz Gespickten hingebaut«, sagte er ärgerlich. »Und für diesen Scheiß wird eine Schule abgerissen, ein Kindergarten, das alte Krankenhaus und was weiß ich nicht noch alles. Mitten im Ort hauen die so einen Klotz hin, bloß weil ein paar Volldeppen –«
    »Inhaltlich teile ich Ihre Meinung, Stengele«, unterbrach ihn Maria naserümpfend. »Wenn wir jedoch ein Ehepaar spielen, bitte ich darum, dass Sie nicht so ordinär schimpfen!«
    »Das macht es doch gerade glaubhaft! Kraftausdrücke, Beleidigungen, Mordgedanken. Das sind Unterhaltungen zwischen Ehepaaren.«
    »Meinen Sie? Sind Sie eigentlich verhei –«
    »Da brauche ich kein Psychologiestudium –«
    »Themawechsel. Wie sollen wir denn Ihrer Meinung nach auf der Baustelle vorgehen?«
    »Wir gehen einfach rein und sehen uns um.«
    »Wie, das geht einfach so?«
    »Eine Baustelle ist nicht so gut durchorganisiert, wie man sich das vorstellt. Ein Bautrupp weiß wenig vom anderen. Da kann man sich durchbewegen, ohne aufgehalten zu werden. Auch sind es zumeist ausländische, wenn nicht gar Schwarzarbeiter, auf die man stößt. Die sind froh, dass sie Arbeit haben und fragen nicht lang, wer da kommt und geht. Und dann kommt noch etwas dazu. Bei solchen Rohbauten wie dem hier gibt es in den Tiefgeschossen viele Bereiche, die man später nicht mehr braucht, die deshalb einfach mit Erde aufgeschüttet werden – oder auch hohl bleiben. Es sind ideale Verstecke.«
    Sie setzten ihre Schutzhelme auf und gingen durch die Absperrung, tatsächlich hielt sie niemand auf. Stengele zog einen kompliziert aussehenden Bauplan heraus.
    »Hier, sehen Sie, das ist der Grundriss der Tiefgarage. Wir sind etwa hier – dort drüben ist so ein Areal, das gerade zugeschüttet wird. Oder auch nicht. Gehen wir mal da rüber.«
    Sie befanden sich jetzt im Untergrund des Gebäudes. Ob es ein Keller oder eine Tiefgarage war, konnte man nicht erkennen. Kleinere Bautrupps arbeiteten an verschiedenen Stellen, sie schienen sich nicht um die Besucher zu kümmern. Maria hielt Fritz an der Leine. Stengele deutete auf einen

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