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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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ihnen«, sagte Giacinta, die den Brief kurz überflogen hatte. »Sie müssen sich jeden Tag auf dem Revier melden.«
    »Und?«
    »Sie fragen, ob wir von der Familie irgendwelche Aktivitäten im Kurort laufen haben. Oder in nächster Zeit planen.«
    »Nein, um Gottes Willen, ganz bestimmt nicht! Davon wüsste ich«, heiserte Padrone Spalanzani. »Wie kommen sie denn darauf! Schreib ihnen, dass der Kurort für uns langfristig abgebrannt ist.«
    Mit einer winzigen Feder malte die junge Giacinta ein paar Zeichen auf Seidenpapier. Sie ging wieder hinauf und bestückte das Botenröhrchen einer anderen Taube damit. Sie gab ihr einen leichten Klaps. Die Taube flog in Richtung Alpen. Die Abenddämmerung brach herein.

38 .
    Ein paar hundert Kilometer weiter nördlich parkte Johann Ostler das Polizeiauto direkt am Ufer der Loisach. Er hatte eine Stelle gewählt, bei der es von der Autotür bis zum Wasser nur ein halber Meter war. Und er hatte darauf geachtet, dass die Stelle schwer einzusehen war. Die Hintertür wurde leise aufgedrückt. Ostler vergewisserte sich, ob sie auch wirklich unbeobachtet waren, ob in dieser lauschigen Nacht nicht Spaziergänger auf der Uferpromenade vorbeikamen. Die Autotür öffnete sich weiter. Ein Frauenkörper glitt heraus – und war auch schon im Wasser verschwunden.
    »Machs gut, Gisela«, sagte Becker leise.
    Sie warteten noch eine Weile im Polizeiauto, dann fuhren sie leise davon.
     
    Gisela trug einen schicken einteiligen Badeanzug, dazu eine geblümte Bademütze, unter denen die Entfernungsmesser und Steuerungselemente verborgen waren. Gisela hatte sicherlich schon gefährlichere Aufträge erlebt. Sie war in einem Konzertsaal vom Balkon gestoßen worden, sie war mit Skiern von einer Skischanze gesprungen und unter schweren Beschuss geraten – einen schwimmenden Einsatz hatte sie jedoch noch nie gehabt. Das größte Problem war es gewesen, ihre empfindlichen Sensoren vor Nässe zu schützen, sie hatte einen fleischfarbenen Neoprenanzug bekommen, und darüber eben den Badeanzug. Giselas Aufgabe war es heute, sich durch den unterirdisch verlaufenden Teil des Mühlbachs treiben zu lassen. Sie sollte dort sämtliche Abzweigungen aufspüren und alles, was ihr vor die Linse kam, fotografieren und filmen. Sie sollte auch ab und zu Wasserproben nehmen. Nach zwei Stunden wäre ihr Job erledigt und sie könnte wieder auftauchen. Becker würde sie wieder in Empfang nehmen.
    »So, die Aufnahme läuft«, sagte Becker im Auto, »Gisela hat die Loisach gerade verlassen, sie ist den Mühlbach ein kleines Stück flussabwärts geschwommen, gleich wird sie zu dem Rohr des unterirdischen Mühlbachs kommen und dort verschwinden. Das Gitter ist ja schon auf. Ich werde es hinter ihr wieder schließen.«
    »Beeilen Sie sich, Becker«, sagte Ostler. »Lassen Sie uns dann rasch aufs Revier fahren. Ich freue mich schon auf den Kinoabend mit Gisela.«
     
    Gisela musste keine Schwimmzüge machen, sie wurde von der leichten Strömung getrieben. Ein kleiner Motor trieb sie zusätzlich an. Das Betonrohr hatte einen Durchmesser von einem Meter zwanzig, wenn keine größeren Hindernisse auftauchten, konnte sie sich mühelos durchschlängeln. Ihre zugegebenermaßen etwas plumpen Finger tasteten die Wand nach Besonderheiten ab, zum Beispiel nach Seitenabzweigungen und verdächtigen Löchern und Nischen. Alle zehn Meter nahm sie eine Wasserprobe. Sie ließ sich Zeit. Sie konnte sich das leisten. Sie musste im Gegensatz zu einem Kampftaucher keine Atemnöte und Dekompressionstraumata befürchten. Sie hatte nicht einmal eine Lunge aus Stahl. Sie hatte gar keine.
    »Gerade ist sie unter dem Restaurant
Alpenglück
«, sagte Jennerwein im Videoraum des Reviers. »Mal sehen, ob die Vertreter der Spitzengastronomie unerlaubte Abwässer einleiten.«
    Der Sichtschirm zeigte genau das, was Gisela auch sah, das war allerdings momentan nicht sonderlich viel, denn die Mühlbach-Brühe wurde immer trüber.
    »Einem Polizeitaucher hätten wir das jedenfalls nicht zumuten können«, sagte der hereinkommende Becker und blickte interessiert auf den Sichtschirm. Auf einem zweiten Bildschirm konnte man Giselas Positionen mit dem Funksignal verfolgen.
    »Jetzt kommt der spannende Augenblick«, sagte Becker. »Sie ist kurz vor der Kirche, sie müsste bald zu der Abzweigung kommen.«
    Die Beamten starrten auf den Schirm. Verwundert schüttelten sie den Kopf: Gisela schwamm weiter.
    »Kann sie eine Abzweigung übersehen

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