Oberwasser
eifriger Karl-May-Leser aus dem thüringischen Jena, >in ›Der Schatz im Silbersee‹ kommt sowas vor. Durch den Silbersee führt nämlich ein geheimer Gang, der zum Schluss geflutet wird. Schau mal nach, ob es das in irgendeinem See auch gibt.<
Er fragte nach Hydroregulierungsstationen unter dem Wasserspiegel, die um das Jahr 1820 erbaut worden waren. Er fragte nach Unfällen, die es dort gegeben hat. Er stellte viele Fragen in vielen Foren, wurde herumgereicht, landete schließlich bei Simon K. in Freiburg.
>Hallo Olli<, schrieb dieser Simon K., >ich studiere Hydrologie im siebten Semester. Ein Hilferuf aus einem Raum heraus, der von Wasser eingeschlossen ist? Das klingt nach einer Geschichte, die ich einmal in einem hydrogeologischen Seminar gehört habe. Willst du Details?<
Klar wollte Krapf Details.
Er hinterließ sehr viele Spuren im Netz.
46 .
Im Besprechungszimmer rauchten die Köpfe. Die von Ostler liebevoll geschmierten Frühstückssemmeln standen unberührt in der Ecke, die meisten hatten sich gleichsam in der Karte des Kurorts festgebissen, die immer noch ausgebreitet auf dem Tisch lag.
»Werfen wir mal einen Blick auf die Verstecke, die früher benutzt wurden«, sagte Jennerwein und warf ein kleines Taschenbüchlein auf den Tisch, die
Kriminalgeschichte des Werdenfelser Landes
von Dr. Ulrich Rosenberger. Dieser historische Überblick war ursprünglich die Doktorarbeit des Oberrats gewesen, wie im Vorwort zu lesen stand. Alle blätterten darin herum.
»Ich habe mich die ganzen Tage schon damit beschäftigt«, sagte Jennerwein. »In dieser Fallsammlung sind zwei Verbrechen zu finden, die etwas mit Wasser zu tun haben. Die erste Geschichte spielt am Geroldsee.«
Er nahm den Bleistift auf und umringelte damit den kleinen See, der etwas außerhalb des Kurorts lag.
»Im Sumpf des Geroldsees soll um das Jahr 1813 während der Invasion Napoleons ein ganzer Tross von französischen Soldaten versunken sein. Die Feinde hatten sie hineingetrieben.«
Johann Hölleisen stutzte. Hatten die Graseggers nicht auch etwas vom Geroldsee erzählt? Ihm wurde mulmig. Sollte er jetzt offenbaren, dass er interne Informationen aus den laufenden Ermittlungen ausgeplaudert hatte? Und dazu auch noch an die ehemaligen Bestatter? Abwarten, dachte Hölleisen.
»Der andere Fall spielt im Jahre 1866 «, fuhr Jennerwein fort. »Da ging es um einen tiefen Brunnen. Ein braver Werdenfelser Bauer soll einen Deserteur des bayrischen Heeres nach dem Mainfeldzug dort drinnen versteckt haben. Mit Erfolg übrigens.« [1]
»Den Brunnen gibt es vermutlich nicht mehr?«
»Nein, er ist natürlich längst außer Betrieb. Er liegt im Zentrum des Kurorts, in der Nähe der Frühlingsstraße, das ist eine der am meisten fotografierten Straßen Mitteleuropas.«
Jennerwein malte seine zwei Kringel auf die Karte.
»Ich möchte, dass wir all die kritischen Stellen heute noch abarbeiten. Stengele, Sie fahren mit Maria hoch zum Geroldsee und sehen sich dort um. Becker und Schwattke, Sie fahren in die Frühlingsstraße und versuchen etwas über diesen Brunnen herauszubekommen. – Was ist denn jetzt schon wieder?«
Es hatte geklingelt. Ostler hatte draußen an der Pforte gesessen und Dienst geschoben. Jetzt lugte er ins Besprechungszimmer.
»Schon wieder die Graseggers. Sie wollen mit Ihnen sprechen, Chef.«
»Sie sollen warten. Alles, was jetzt nicht direkt mit unserem Fall zu tun hat –«
»Sie sagen, es hätte mit dem Wilderer-Fall zu tun. Sie haben angeblich einen heißen Tipp, wo man jemanden verstecken könnte. Sie sagen, sie hätten eine geeignete Wasserstelle gefunden.«
»Eine Wasserstelle?«, sagte Jennerwein erstaunt. »Aber woher wissen die denn – Hölleisen!!!«
Hölleisen machte ein unbeschreiblich unschuldiges Gesicht.
»Also gut, dann herein mit den beiden.«
»Sie wollen aber nur mit Ihnen –«
»Herein, sage ich!«
Das Bild war köstlich: Zwei Satansbraten, eingeklemmt zwischen sechs Staatsdienern mit Treueschwur auf die bayrische Verfassung. Das Pärchen, das es mit den bürgerlichen Gesetzen nicht sehr genau nahm, zwischen denen, die für die Aufrechterhaltung dieser Ordnung verantwortlich waren. Das hatte es im Dienstzimmer des örtlichen Polizeireviers noch nie gegeben.
»Uns ist da etwas eingefallen«, sagte Ursel zögerlich.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte Jennerwein, als sie sich gesetzt hatten. »Bitte machen Sie Ihre Aussage. Kaffee? Wurstbrote?«
Ursel und Ignaz warfen einen Blick auf
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