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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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verschwunden ist – die Geschichte vom Quirin Roesch.«
    »Und wenn man die Spendengeschichte mit dieser Geschichte zusammenbringt, dann wird vielleicht ein Schuh daraus.«
    »Erst haben wir gezögert, davon zu erzählen, aber wir haben ja nichts zu verlieren.«
    »Bevor Sie anfangen«, sagte Jennerwein, »hat es etwas mit der Familie zu tun?«
    »Mit Italien? Wo denken Sie hin! Auf keinen Fall.«
    Ursel und Ignaz ersparten sich auch das Detail, dass sie den Padrone genau danach gefragt hatten. Zwischen Toreggio und dem Kurort war noch einige Taubenpost hin und her geflogen.
    »Höllentalklamm?«, hatte der Padrone in Toreggio geflüstert. »Zu heiß für uns.«

47 .
    Jennerwein hatte alle Mitglieder seiner Truppe losgeschickt, sie sollten schnellstens damit beginnen, die neu besprochenen Recherchen durchzuführen. Er saß mit Ursel und Ignaz Grasegger allein im Besprechungszimmer. So unglaublich diese Geschichte war, so faszinierend war sie gleichzeitig. Die beiden schienen ehrlich entschlossen, der Polizei bezüglich eines todsicheren Versteckes weiterzuhelfen. Sie wussten etwas, und das wollte er sich anhören. Oder hatten sie doch etwas mit der Entführung zu tun und wollten ihn auf eine falsche Fährte locken? Er musste aufpassen, er durfte sich nicht einwickeln lassen.
     
    »Fünf Minuten«, sagte er.
    Er war hochkonzentriert, doch er versuchte uninteressiert und lässig bis abweisend auszusehen.
    »Die Höllentalklamm ist natürlich vollkommen unbefahrbar«, begann Ignaz. »Selbst Extremsportler wissen das. Trotzdem haben es immer wieder welche versucht. Vor zweihundert Jahren zum Beispiel. Sei es, dass das Wildwasser damals nicht ganz so reißend war wie heute, sei es, dass die Menschen vor zweihundert Jahren furchtloser waren – ein Mann hat es jedenfalls gewagt: der Roesch Quirin. Der Kurort war noch ein winziges Dorf, die Haupterwerbsquelle der Bewohner war die Flößerei. Das Holz wurde droben in den Bergwäldern geschlagen, über die Wildbäche heruntergefahren, um dann auf der Loisach über die Isar nach München gebracht zu werden. Echtes Werdenfelser Zirbelholz für enge städtische Bürgerstuben – die fetten Münchner Hopfenzupfer haben sicher nicht gewusst, wie viele Tote und Verletzte die Flößerei gefordert hat. Mein Ururgroßvater, der Sylvester Grasegger, der war Flößer, bevor er dann Bestattungsunternehmer geworden ist. Deshalb weiß ich es. Jedenfalls ist der Quirin Roesch eines Tages zusammen mit weiteren drei Leuten den Hammersbach hinuntergefahren und in der Höllentalklamm gekentert. Vom Floß ist nicht viel übrig geblieben, unten hat man noch ein paar Einzelteile herausgefischt. Das Sonderbare dabei war, dass die vier Leute nie gefunden worden sind, weder tot noch lebendig.«
    »Sie sind vielleicht irgendwo auf der Strecke eingeklemmt worden«, sagte Jennerwein.
    »Ja schon, aber gleich vier Leute?«
    »Können sie nicht unterwegs ausgestiegen sein?«
    »Unmöglich. Der bequeme Wanderweg ist erst 1905 in die Wand gehauen worden. Damals war das noch eine bis zu hundertfünfzig Meter tiefe Schlucht, sonst nichts.«
    »Ein Siphon«, sagte Jennerwein nachdenklich. »Das ist ein Strudel, der sich einen Weg unter einem Stein gebahnt hat. Ein Gegenstand oder ein Körper, der dort hineingerät, kreist sozusagen bis in alle Ewigkeiten darin herum. Ich hatte schon einmal solch einen Fall.«
    »Siphon?«, wiederholte Ignaz. »Ach, so heißt das! Wir haben das immer
Felsschlupfer
genannt.«
    »Der Körper darf nicht zu schwer sein«, sagte Jennerwein nachdenklich, »sonst sinkt er auf den Boden der Walze und wird nach einiger Zeit wieder herausgespült. Er darf aber auch nicht zu leicht sein, sonst gerät er gar nicht erst in den Strudel.«
    »Ja, so funktioniert er, der Felsschlupfer.«
    »Könnte es das gewesen sein?«
    »Ich weiß nicht. Die Gendarmen damals, Ihre Vorfahren sozusagen, die haben die ganze Klamm mit Bergführerstecken abgestochen. Auch diese Siphons. Nichts. Wie wenn sie sich aufgelöst hätten, der Quirin und seine Begleiter.«
    »Und wie erklären Sie sich dann diesen Vorfall?«, fragte Jennerwein.
     
    Oliver Krapf wartete begierig auf die Antwort des Hydrologen aus Freiburg.
    >Es ist natürlich nur eine Geschichte, eine Legende<, schrieb Simon K. weiter. >Aber sie klingt für mich plausibel. Einer fällt ins reißende Wasser und gerät in einen Strudel, aus dem er sich nicht mehr befreien kann. Er denkt, sein letztes Stündlein hat geschlagen. Als er jedoch aus

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