Oberwasser
Pflaster zerplatzt.
»Vierhundert Tage Sonne im Jahr«, sagte Hölleisen voll Pflanzerstolz. »Meine Frau hat gesagt, dass Tomaten die Wespen vertreiben.«
Um die Sträucher herum wimmelte es von Wespen.
»Es ist schon richtig, was Dr. Rosenberger gesagt hat«, fuhr Jennerwein fort, als sie wieder alle im Besprechungsraum saßen. »Das Loisachtal ist bestens geeignet, jemanden spurlos verschwinden zu lassen.«
Er blickte auf die Uhr. Der Zeiger stand auf zwanzig nach acht. Alles in Ordnung.
»Alte Spurensichererweisheit: Ganz spurlos verschwindet nichts und niemand«, sagte Becker.
Jennerwein massierte sich die Schläfen.
»Der Meinung bin ich auch. Wir haben klitzekleine Andeutungen von Spuren. Zwei Frauen reden von Dombrowski. Zwei Männer verlassen ein Konzert. Das sind Spuren von Spuren. Zu den Verschwundenen führt kein Weg. Das deutet auf Wasser hin. Wasser foppt Hundenasen, Wasser löst heiße Spuren in Nichts auf. Womit wir beim nächsten Punkt wären. Wasserstellen.«
Becker nickte sachlich.
»Wir haben schon damit begonnen. Ich habe auf Ihre Anregung hin zusammen mit Ostler und Hölleisen alle fraglichen Wasser-Stellen im Ort markiert. Bäder, Brunnen, Wehre, Kanäle und so weiter. Wir sind noch nicht sehr weit gekommen, aber –«
Es klingelte. Hölleisen stand auf, verließ den Raum und kam gleich wieder zurück.
»Es ist das Ehepaar Grasegger.«
»Auch das noch!«, seufzte Jennerwein.
»Chef, wollen Sie selbst –«
»Nein, Hölleisen, unterschreiben Sie. Es ist ja nur ein Sichtvermerk, Ihre Unterschrift genügt vollkommen.«
Becker breitete eine Karte auf dem Besprechungstisch aus, auf der alle Wasserstellen im Kurort markiert waren. Fünf Köpfe beugten sich darüber. Franz Hölleisen ging hinaus in den Vorraum, in dem die beiden Graseggers auf dem Wartebänkchen saßen – gut gekleidet, wie es sich für einen behördlichen Gang ziemte.
»Genügt es eigentlich nicht«, fragte Ursel während des Unterschreibens, »wenn einer von uns auf dem Revier erscheint?«
»Komm, Ursel«, sagte Hölleisen müde lächelnd, »stell dich nicht so an. Ganz blöd sind wir bei der Polizei auch nicht. Ich frage mich, was ihr beiden schon wieder vorhabt! Natürlich reicht es nicht, wenn nur einer kommt. Der Sinn des Ganzen ist es ja, dass keiner von euch größere Ausflüge macht.«
Das saubere Pärchen blickte ihn treuherzig an. Einen Versuch war es ja wert. Hölleisen räusperte sich.
»Ist noch was?«, fragte Ignaz
»Nur ganz theoretisch«, sagte Hölleisen so beiläufig wie möglich. »Wenn ich etwas verstecken will –«
Ursel schaute Hölleisen forschend ins Gesicht. Auch Ignaz antwortete nicht gleich. Ganz leise hörte man Stimmen aus dem Besprechungszimmer. Bei näherem Hinhören war es eine erregte Diskussion.
»
Etwas
verstecken – oder
jemanden?
«, fragte Ignaz schließlich.
»Na, dann eher
jemanden
.«
»Lebendig? Tot?«
»Beides.«
»Da gibt es tausende von Möglichkeiten.«
»Soweit sind wir auch schon gekommen.«
»Du musst uns schon noch einen Tipp geben.«
»Das ist kein Ratespiel. Fällt euch spontan etwas ein oder nicht?«
Die Graseggers schwiegen. Hölleisen überlegte fieberhaft. Verriet er ein Dienstgeheimnis, wenn er die Idee mit dem Wasser preisgab? War das ein Alleingang? Gefährdete er die Ermittlungen? Er schloss kurz die Augen und befragte seine Intuition.
»Wasser«, sagte er schließlich. »Wir suchen ein Versteck unter Wasser, im Wasser, auf dem Wasser – wir wissen es nicht genau.«
»Etwas im Wasser zu verstecken ist eine gute Idee«, sagte Ignaz bedächtig. »Spürhunde haben keine Chance, biologische Stoffe zersetzen sich sehr schnell. Spuren verschwinden.«
Ursel bedachte ihren Mann mit einem strengen Blick.
»Komm, hör auf, Ignaz. Wir sagen nichts mehr. Am Ende drehen sie uns noch einen Strick daraus.«
»Man hilft der Polizei, wo man kann«, sagte Ignaz. »Das schöne Murnauer Moos zum Beispiel, das verschluckt Leichen auf Nimmerwiedersehen.«
»Das ist uns zu weit vom Kurort entfernt. Geht es auch etwas näher?«
»Der Geroldsee. Gleich nach der Ortsgrenze. Der ist auch moorig. Da kann man aber bloß Leichen verschwinden lassen. Wilderer können sich da nicht verstecken.«
»Wenn euch noch was einfällt –«
»Ja. Wir denken einmal darüber nach.«
Zu hause auf der Terrasse der Graseggers bog sich der Tisch unter der Last von gerösteten Kasnocken, eingelegten Bauchzweckerln und kaltem Werdenfelser Schweinsbraten mit
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