Oberwasser
die billigen Industriewurstscheiben, die sich da aus den Semmeln herausquälten.
»Nein danke, wir kommen gerade vom Frühstück.«
Auch hier konnte man es wieder studieren: Das Böse neigt zur Feinschmeckerei, das Gute zum Fastfood.
»Bei der Kombination von Versteck und Wasser hat es bei uns geschnackelt«, fuhr Ursel fort. »Wir kennen eine Wasserstelle, wie geschaffen fürs Verstecken.«
»Und was wäre das für eine Wasserstelle?«
»Die Höllentalklamm.«
Die Ortskundigen unter den Polizisten sahen sich an und schüttelten den Kopf. Die Höllentalklamm. Dieses gewaltige Naturereignis unterhalb der Zugspitze! Wie sollte man in einer wild rauschenden, ziemlich überlaufenen Touristenattraktion jemanden verstecken? In dieser knapp einen Kilometer langen urtümlichen Hölle aus Strudeln und gischtsprühenden Walzen, gespeist von einem harmlosen Rinnsal namens Hammersbach, der nur in der Klamm mit ihren himmelhohen Wänden zu einem reißenden Popanz aufschwoll?
»Wir sind sehr gespannt, was Sie uns da zu erzählen haben. Ich gebe Ihnen genau fünf Minuten.«
»Es ist eine komische Geschichte –«, begann Ignaz zögerlich.
»Und wir müssen gleich dazusagen, dass wir nichts damit zu tun haben!«, unterbrach ihn Ursel. »Wir haben bloß davon gehört!«
»Kommen Sie bitte zur Sache.«
»Vor Jahren«, fuhr Ignaz fort, »hat das Fremdenverkehrsamt vorgehabt, die Höllentalklamm, die ja eines der Schmuckstücke des Kurorts ist, intensiver zu vermarkten – die paar Euro Eintrittsgeld haben anscheinend nicht mehr ausgereicht. Nach einer regulären öffentlichen Ausschreibung sind mehrere Vorschläge eingelaufen, einer verrückter als der andere. Ein Münchner Architekturbüro wollte zum Beispiel eine Wasserrutsche aus Plexiglas bauen, die ein paar Meter über dem Wasserspiegel tausend Meter schräg nach unten führt: Es wäre die längste Wasserrutsche der Welt geworden.«
»Ja, genau«, sagte Ursel. »Andere wollten den Hammersbach umleiten, die Klamm trockenlegen und eine Bobbahn daraus machen. Die Zuschauer wären in die Felswände auf ihre Sitze abgeseilt worden.«
»Ein drittes Architekturbüro hätte Lattenroste in Stufenform über das Wasser gebaut und eine riesige Partymeile daraus gemacht.«
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte Stengele scharf.
»Wir kennen jemanden im Gemeinderat, der hat uns das alles erzählt.«
»Name?«
»Haben wir vergessen, er ist auch unwichtig.«
Ignaz und Ursel sahen sich an und nickten sich bestätigend zu.
»Den Zuschlag hat ein Bewerber bekommen«, fuhr Ignaz kopfschüttelnd fort, »der dem Kurort eine astronomische Summe dafür gezahlt hat, dass nichts gemacht wird. Dass die Höllentalklamm so belassen wird, wie sie ist.«
»Der Haushalt ist durch diese großzügige Spende auf Jahre hinaus saniert gewesen.«
»Und deshalb sieht die Höllentalklamm heute noch so aus wie vor zehntausend Jahren.«
»Ein früher Umweltaktivist?«, fragte Nicole Schwattke.
»Unwahrscheinlich, er ist nämlich anonym geblieben, und das bis heute. Eine Umweltorganisation hätte das doch ganz bestimmt an die große Glocke gehängt – die wollen ja immer im Rampenlicht stehen. Dieser Mann aber hat darauf bestanden, dass er und die ganze Aktion im Dunkeln bleiben.«
»Wir haben auch die genaue Summe erfahren. Wir sind fast in Ohnmacht gefallen. Und wir haben uns dann schon die Frage gestellt: Seit wann haben harmlose Naturschutzverbände solche Mittel zur Verfügung?«
Einen Teil der Geschichte ließen die Ex-Bestatter weg, dass nämlich der Auftraggeber
irgendwie international
gewirkt und mehrere Sprachen auf eine babylonische Weise gesprochen hätte. Dass es am ehesten noch eine slawische Sprache gewesen wäre. Die Graseggers hielten das gar nicht für so wichtig. Wenn sie es nicht verschwiegen hätten, dann hätten die Ermittler allerdings den anonymen Brief von Veronika Holzmayer und Rudi Mühlriedl doch nicht so ohne weiteres beiseite gelegt. Hätte, hätte, hätte.
Jennerwein musterte die Graseggers genau. Es war klar, dass sie etwas verschwiegen, aber er wusste auch, dass es keinen Sinn hatte, hier nachzubohren.
Becker brach das Schweigen als Erster.
»Die Höllentalklamm also! Alles gut und schön, aber ich sehe nicht, auf welche Weise man da jemanden verstecken könnte.«
»Das haben wir uns auch gedacht. Wir sind ein bisschen spazieren gegangen in der Klamm –«
»- und dann ist uns eine Geschichte eingefallen, eine alte Legende von einem Flößer, der
Weitere Kostenlose Bücher