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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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was von LGL steht, und so heißt auch das Büchlein:
Leibhaftiges Gesangsbuch für die Landbevölkerung.
«
    »Sie sehen die Kritzelei als el-ge-el?«
    »Wäre zumindest eine Möglichkeit. LGL , II , 1 würde ich sagen. Ein Hinweis auf ein Lied.«
    Che bekam einen verschmitzten Gesichtsausdruck.
    »Mensch, das interessiert mich jetzt selbst. Wollen wir mal in der Bibliothek nachschauen?«
    In der kleinen volkskundlichen Bibliothek nahm Oliver Krapf, dessen Jagdfieber wegen des herben Rückschlags beim Numismatikerfuzzi ein bisschen (eigentlich schwer) nachgelassen hatte, langsam wieder Witterung auf.
    »Wollen wir mal sehen, ob wir die Schwarte in der Bibliothek finden«, sagte Che.
    Die Schwarte lag völlig auseinandergefallen in einem zugeschnürten Pappkarton. Che nahm eine Pinzette und hielt den abgefallenen Buchrücken hoch. Dort prangten tatsächlich die Buchstaben L.G.L.
    »Irgendwann waren das mal Goldbuchstaben.«
    Die altertümlichen Lettern erinnerten tatsächlich ein ganz kleines bisschen an die Kritzelei auf der Münze. Krapf betrachtete die Buchstaben näher. Sie erinnerten schon ziemlich an die Münzinschrift. Sie erinnerten ausgesprochen an sie. Sie waren praktisch identisch mit ihr.
    »Dann brauchst du jetzt bloß noch das Lied zu suchen.«
    »Könnten Sie das bitte machen, Herr Professor, ich kann diese idiotische Frakturschrift nicht lesen.«
    »Nenn mich Che, Junge, nenn mich einfach Che.«
    »Ja, Che. Lies du.«
    Che blätterte. Oliver war jagdfiebermäßig schon wieder auf hundert.
    »Also, LGL , Kapitel  II , da haben wir es ja: Das sind Hilferufe und Fürbitten, alles in Reimform gegossen. Das sind Lieder, die die Leute damals gesungen haben, wenn sie in Not waren. Krankheiten, Pest, böser Blick, schlechter Stallgeruch – für alles gab es Fürbitten. Aber hier haben wir, was wir suchen. LGL , Kapitel  II , Nummer  1  –«
    in groszer noth sind wir,
    ohn unterlasz strömt bach und flusz
    die sündtflut dräut, begräbt die liebsten mir,
    hilf uns daraus, mein GOtt
    »Das war vor der Rechtschreibreform«, murmelte Che. »Da wurde nur Gott großgeschrieben, das war leicht zu merken.«
    »Die Sintflut?«, sagte Krapf verwundert. »Ist vielleicht eine Überschwemmung gemeint?«
    »Ja, möglich. Hat damals oft die Ernten vernichtet.«
    »Aber warum steht das auf einer Schmuckmünze? Wozu der Aufwand?«
    »Keine Ahnung. Das musst du schon selbst herausfinden. Ich gebe dir noch einen Tipp: Blättere alte Geschichtsbücher durch, suche nach Überschwemmungen zwischen 1800 und 1830 im süddeutschen Raum. Vielleicht ist jemand verschüttet worden, keine Ahnung.«
    »Wie, durchblättern? Alte Bücher? In einer vermufften Bibliothek? Übers Netz geht das nicht?«
    Che, der Freak lachte.
    »Glaub ich eher nicht, Mann. Geschichte ist eine staubige, analoge Angelegenheit. Viel Glück.«
     
    Krapf hatte keine Lust, in vertrockneten Büchern herumzublättern. In Bibliotheken konnte er nicht atmen. Und wo sollte er da überhaupt anfangen? In Zürich? In Bad Reichenhall? Am Polarkreis? In Südafrika? Er hatte eine andere Idee. Er fuhr wieder heim, schaltete den Rechner an und kroch hinein. Es musste Foren geben, die solche Themen behandelten. Da ja doch keine Gefahr drohte, dass ihm jemand die wertlose Münze klaute, wagte er es, sich im Netz als Jäger des verlorenen Schatzes zu outen. Er gab ein paar Suchbegriffe ein. >Wasser<, >Hilfe<, und >Münze<.
     
    »Sollen wir es ihm nicht endlich sagen?«, fragte Tina am Strand von Casablanca.
    »Warum? Dafür, dass er einfach Leine zieht und uns im Stich lässt?«
    »Du hast recht. Außerdem muss er es, wenn er nur ein Gramm stochastisches Gespür hat, selbst herausfinden.«
    Tina spielte auf eine naheliegende Frage an, die sich Oliver Krapf nie gestellt hatte: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, in einem Sack Münzen diejenige herauszugreifen, die als einzige beschriftet ist?
     
    >Hallo Olli<, schrieb eine gewisse LonelyLizzy in einem geopolitischen Forum, >ich studiere Geologie im zweiten Semester, von großen Überschwemmungen in der fraglichen Zeit weiß ich nichts. Zwischen 1800 und 1820 , da gab es eher Dürreperioden mit vertrockneter Ernte.<
    Diese Information wurde auch von SaveEmotions, Perlhuhn 3 und dem Tegernseer_Strandgänger bestätigt. Oliver Krapf erweiterte den Zeitrahmen, darüber hinaus nahm er auch noch Hessen und Österreich dazu: Das gleiche Bild: Keine Überschwemmungen, keine vollgelaufenen Keller.
    >Hallo Olli<, schrieb ein

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