Oberwasser
du daheim vor den Gästen sogar behaupten, du hättest das Wildbret selber geschossen.«
Gelächter in der Metzgerei Kallinger.
»Im Bauerntheater proben sie auch schon ein neues Stück«, sagte der Schreiner Beppi. »Passend zu der ganzen Gaudi.«
»Wie heißt es denn? Vielleicht:
Der Wildschütz Jennerwein?
«
Großes, nicht enden wollendes Gelächter.
»Nein«, sagte die elegant gekleidete Frau Neuner und schob eine Haarsträhne zurück in ihren geflochtenen Dutt, »es heißt
Der Gamsjäger vom Marienplatz
, Premiere soll in zwei Wochen sein, und die Vorstellungen sind schon alle ausverkauft. Aber ich habe ja ein Abonnement.«
Der Kottesrieder Loisl, Kaminkehrer und ehemaliger Eishockey-Spieler, blätterte lustlos in der Zeitung herum.
»Ja, gibt es denn gar nichts anderes als das Wildern!«, murrte er schon wieder.
»Dann lies halt die Todesanzeigen«, sagte seine Frau, die Kottesrieder Rosalinde.
»Es stirbt ja niemand mehr«, erwiderte der Loisl. »Jeder wartet noch ab, wie das Wildererdrama ausgeht.«
Und damit hatte er recht. Das waren die großen Themen im Ort: Das Jägern und das Wildern. Die Geschäftsleute hatten sich schon darauf eingestellt. In der Bäckerei Krusti wurden Semmeln angeboten, die die Form von Gewehrpatronen des Kalibers 7 × 64 hatte, solche, wie sie die Freischützen des neunzehnten Jahrhunderts angeblich verwendet hatten. Im Trachtenmodehaus Sennleiner wurden
perforatos
vorgestellt, das waren durchlöcherte, karierte Holzhackerhemden, und im hippsten Friseurladen des Ortes, bei Hairbert, ging es ähnlich zu.
Dort saß Polizeiobermeister Hölleisen und wartete auf seinen Haarschnitt, den seine Frau für dringend nötig gehalten hatte. Sein Stammfriseur hatte geschlossen, drum saß er heute ausnahmsweise bei Hairbert.
»Jäger oder Wilderer?«, fragte Hairbert.
»Wie meinen Sie? Ich möchte es kurz bitte, und unauffällig.« Fast hätte er noch hinzugefügt: Ich ermittle doch verdeckt! Aber er beherrschte sich.
»Kurz?«, sagte Hairbert. »Das ist Jäger.«
»Dann halt Jäger.«
»Wie kurz?«
»Möglichst kurz, aber nicht modisch.«
»Kurz
ist
zur Zeit modisch. Windschnittig, föhnig, jägerisch eben.«
»Dann möchte ich es nicht so kurz.«
»Also old-fashioned? Wildschützig? Jennerweinig? Ihnen würde auch retro stehen.«
»Ich möchte es überhaupt nicht modisch.«
»Überhaupt nicht modisch – das geht nicht«, sagte Hairbert und legte soviel Härte in die Stimme, als es ihm möglich war. »Das macht Ihnen kein Friseur.«
»Wie, geht nicht?«
»Geht nicht, cut. Und wenn es ginge, würde auch das wieder eine Mode werden.«
»Dann machen Sie es mir eben altmodisch. Aber beeilen Sie sich, meine Pause ist gleich zu Ende.«
»Altmodisch? Aber wie altmodisch? Da gibt es zum Beispiel antiquated und dated, dann gibt es out-moded, fuddy-duddy, out of fashion (nicht zu verwechseln mit old-fashioned), retro, primitive, long-forgotten –«
»Hören Sie auf, ich habe nicht so viel Zeit, was ist denn das Kürzeste?«
»Das Kürzeste ist eine Glatze, das ist dann skinheaded. Ich denke aber nicht, dass Ihnen das steht.«
»Nein, ich meine, was ist
zeitlich
das Kürzeste.«
»Ein Glatze
ist
zeitlich das Kürzeste.«
»Also gut, dann machen wir es anders, sonst komme ich hier nie mehr raus. Sie sagen mir, was mir steht, und das nehme ich dann.«
»Zu Ihrem Typ würde
Totgeglaubt
ganz gut passen.«
»Totgeglaubt, gut, das nehme ich.«
»Sie fragen gar nicht, was Totgeglaubt für ein Style ist.«
»Nein, frag ich nicht, fangen Sie an, in zehn Minuten muss ich weg.«
»Sehr wohl, der Herr.«
»Ach eines noch«, sagte Hölleisen. »Kann ich eine Rechnung bekommen, auf der
Berufshaarschnitt
steht?«
»Aus der Gegend von Mittenwald«, sagte der Presstaler Martin gegenüber in der Metzgerei Kallinger, »kommt ja der Jagdbrauch, dass man aus dem frisch geschossenen Hirschen die Leber herausschneidet und roh isst.«
»Ja freilich, das ist ein jahrhundertealter Brauch!«, stimmte die Seiff Martina ein.
»Der alte Hendlinger Toni, ein Jäger, der im hohen Alter das Gewehr nicht mehr hat halten können, soll in den Supermärkten immer die abgepackten Portionen aufgerissen und die rohe Leber gefressen haben.
Was habt ihr denn – ich zahls doch!
, soll er entrüstet gerufen haben, aber schließlich hat er in jedem Supermarkt Hausverbot bekommen, weil sich empfindliche Preußen, die mit den jägerischen Bräuchen nicht so vertraut waren, beschwert
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