Oblomow
das Leben, weil der Wunsch in Erfüllung gegangen ist – das kommt beim selbständigen und dreisten Schreiten durchs Leben, beim eigenmächtigen ›ich will‹ heraus. Man muß vorsichtig vorwärtsgehen, bei vielem die Augen schließen und nicht vom Glück träumen, nicht zu murren wagen, weil es entschwindet – das ist das Leben! Wer hat sich ausgedacht, daß es Glück und Genuß ist? Die Toren! Das Leben ist das Leben, ›die Pflicht‹, sagte Oljga, ›und eine Pflicht ist schwer. Wollen wir also unsere Pflicht erfüllen.‹« Er seufzte. »Ich werde Oljga nicht mehr sehen ... Mein Gott, du hast mir die Augen geöffnet und mich auf meine Pflicht hingewiesen,« sagte er, gen Himmel blickend. »Wo soll ich denn die Kraft hernehmen? Mich von ihr trennen! Jetzt geht es noch, wenn es auch weh tut, dafür werde ich mir später nicht fluchen, sie nicht verlassen zu haben! Es wird gleich jemand von ihr kommen, sie wollte herschicken ... Sie erwartet das nicht ...«
Aus was für einem Grunde? Welcher Wind hatte Oblomow plötzlich angeweht? Was für Wolken hatte er gebracht? Und warum legte er sich ein so trauriges Joch auf? Er hatte ja erst gestern in Oljgas Seele geblickt und dort eine lichte Welt und ein lichtes Schicksal gesehen, er hatte ihr und sein Horoskop gelesen. Was war denn geschehen? Er hatte gewiß abends gegessen, und er war auf dem Rücken gelegen, und die poetische Stimmung hatte solch einen Schrecken zur Folge gehabt. Es kommt oft vor, daß man im Sommer an einem stillen, wolkenlosen Abend, bei glitzernden Sternen einschläft und daran denkt, wie schön morgen das Feld in den hellen Morgentönen erscheinen wird! Und wie lustig es sein wird, sich in das Waldesdickicht vor der Hitze zu verstecken ... Und plötzlich erwacht man beim Rieseln des Regens und sieht graue, traurige Wolken; es ist kalt und feucht ... Oblomow hatte des Abends wie gewöhnlich dem Klopfen seines Herzens gelauscht und sich in die Analyse seines Glückes vertieft, und plötzlich war er auf einen bitteren Tropfen gestoßen und hatte sich vergiftet. Das Gift wirkte stark und schnell. Er ließ im Geiste sein ganzes Leben an sich vorübergleiten; Reue und zu spätes Bedauern seiner Vergangenheit stiegen zum hundertsten Male in ihm auf. Er stellte sich vor, was er jetzt wäre, wenn er rüstig vorwärtsschreiten würde, um wieviel vielseitiger und inhaltsreicher sein Leben sich gestaltet hätte, wenn er tätig wäre, und ging zur Frage über, wie Oljga ihn lieben konnte, wofür? War das kein Irrtum? – tauchte es in ihm wie ein Blitz auf, und dieser Blitz hatte ihn ins Herz getroffen und es zerstört.
Er stöhnte: »Ein Irrtum! Ja ... das ist es!« wälzte sich der furchtbare Gedanke durch seinen Kopf. »Ich liebe, ich liebe, ich liebe« – ertönte es plötzlich in seiner Erinnerung, und das Herz begann sich zu erwärmen; doch dann erkaltete es wieder. Und was war dieses dreifache »Ich liebe« von Oljga? Eine Täuschung ihrer Augen, das tückische Flüstern des noch feiernden Herzens; keine Liebe, sondern nur eine Vorahnung von Liebe. Diese Stimme würde einst erwachen und so mächtig ertönen, in einen solchen Akkord ausklingen, daß die ganze Welt erbeben würde! Selbst die Tante und der Baron würden es erfahren, und der Klang dieser Stimme würde einen lauten Widerhall wecken! Jenes Gefühl würde nicht so still wie ein Bach vorwärtsschreiten, der sich im Grase verbirgt und kaum hörbar plätschert. Sie liebt jetzt ebenso, wie sie auf Kanevas stickt. Das Muster kommt langsam und träge zum Vorschein, sie rollt es noch träger auf, bewundert es, legt es dann fort und vergißt es. Ja, das war nur eine Vorbereitung zur Liebe, ein Experiment, und er war ein Objekt, das ihr zuerst unterkam und zu einem gelegentlichen Versuche ganz tauglich war ... Ein Zufall hatte sie zueinander geführt und sie einander nahegebracht. Sie hätte ihn nicht bemerkt; Stolz hatte sie auf ihn hingewiesen und das junge, empfängliche Herz mit seiner Teilnahme angesteckt, in ihr war Mitleid mit seiner Lage und der eitle Wunsch erwacht, den Schlaf von seiner trägen Seele abzuschütteln, um ihn dann zu verlassen. »So ist es also!« sprach er entsetzt, sich vom Bette erhebend und mit zitternder Hand die Kerze anzündend. »Es ist und war nichts anderes! Sie war zur Empfängnis der Liebe bereit, ihr Herz wartete gespannt, sie ist ihm zufällig begegnet und hat sich ihm irrtümlicherweise zugewendet ... Es brauchte nur ein anderer zu erscheinen, und sie würde
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