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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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entsetzt und ernüchtert ihren Irrtum einsehen! Wie würde sie ihn dann anblicken und sich abwenden ... Das wäre furchtbar! Ich stehle fremdes Gut. Ich bin ein Dieb! Was tue ich? Was tue ich? Wie verblendet ich bin – o Gott!«
    Er blickte in den Spiegel; er war blaß und gelb, seine Augen waren trüb. Er dachte an jene glücklichen Jünglinge, die einen feuchten, sinnenden, aber tiefen und mächtigen Blick mit dem zitternden Funken im Auge hatten wie sie, die ein siegesbewußtes Lächeln, einen so rüstigen Gang und eine klangvolle Stimme besaß. Und er würde es erleben, daß so einer erschien, sie würde plötzlich Feuer fangen, ihn anblicken und ... auflachen!
    Er blickte wieder in den Spiegel. »Solche liebt man nicht!« sagte er.
    Dann legte er sich hin und preßte das Gesicht aufs Kissen. »Leb wohl, Oljga, sei glücklich!« schloß er.
    »Sachar!« rief er des Morgens. »Wenn jemand von Iljinskys mich holen kommt, sage, daß ich nicht zu Hause bin, daß ich in die Stadt gefahren bin.«
    »Zu Befehl!«
    »Nein ... Ich schreibe ihr lieber,« sagte er zu sich selbst, »sonst wird es ihr wunderlich erscheinen, daß ich plötzlich verschwunden bin. Eine Erklärung ist unvermeidlich.«
    Er setzte sich an den Tisch und begann rasch, leidenschaftlich und mit fieberhafter Schnelligkeit zu schreiben, ganz anders, als er Anfang Mai an seinen Hausherrn geschrieben hatte. Es kam kein einziges Mal eine unangenehme und zu nahe Begegnung zweier »welcher« und »daß« vor.

    »Es wundert Sie, Oljga Sjergejewna,« schrieb er, »statt meiner diesen Brief zu sehen, da wir so oft zusammenkommen. Lesen Sie bis zu Ende, und Sie werden sehen, daß ich nicht anders handeln konnte. Wir hätten mit diesem Briefe beginnen sollen, dann wären uns beiden in Zukunft viele Gewissensbisse erspart; es ist aber auch jetzt noch nicht zu spät. Wir haben einander so plötzlich und schnell liebgewonnen, als ob wir beide plötzlich erkrankt wären, und das hat mich daran verhindert, früher zur Besinnung zu kommen. Wer würde übrigens, ganze Stunden lang Ihren Anblick genießend und Ihnen lauschend, gutwillig die schwere Pflicht, sich vom Zauber zu ernüchtern, auf sich nehmen? Wo könnte man einen genügenden Vorrat an Vorsicht und Willenskraft ansammeln, um bei jedem Abhange stehenzubleiben und sich nicht herablocken zu lassen? Ich habe jeden Tag gedacht: Ich lasse mich nicht weiter hinreißen, und ich bleibe stehen; es hängt ja von mir ab, und ich habe mich hinreißen lassen, und jetzt beginnt ein Kampf, in dem ich Ihren Beistand fordere. Ich habe erst heute in dieser Nacht begriffen, wie schnell meine Füße herabgleiten; es ist mir erst gestern gelungen, tiefer in den Abgrund zu schauen, in den ich falle, und ich habe beschlossen, stehenzubleiben. Ich spreche nicht aus Egoismus immer von mir, sondern weil Sie, während ich in der Tiefe dieses Abgrundes liegen werde, immer noch wie ein reiner Engel in der Höhe schweben und wohl schwerlich einen Blick hineinwerfen wollen. Hören Sie mich an, ich sage es Ihnen einfach und geradeheraus, ohne alle Anspielungen. Sie lieben mich nicht und können mich nicht lieben. Hören Sie auf meine Erfahrenheit und glauben Sie mir unbedingt. Mein Herz hat ja schon längst zu schlagen begonnen, wenn sein Schlag auch falsch und unregelmäßig sein mochte, doch gerade das hat mich gelehrt, sein regelrechtes Schlagen von einem zufälligen zu unterscheiden. Sie können nicht, aber ich kann und muß missen, wo die Wahrheit und wo die Verirrung ist, und es ist meine Pflicht, denjenigen, der noch nicht Zeit hatte, es zu erfahren, zu warnen. Und ich warne Sie also: Sie haben sich verirrt, blicken Sie zurück! Solange die Liebe uns in Gestalt einer unbestimmten lächelnden Vision erschien, solange sie in Casta diva erklang und im Dufte eines Fliederzweiges, in der unausgesprochenen Teilnahme, im schüchternen Blicke vor uns schwebte, vertraute ich ihr, indem ich sie für ein Spiel der Phantasie und ein Flüstern der Eitelkeit hielt. Doch jetzt ist das Spiel zu Ende; ich bin an der Liebe erkrankt und fühle die Symptome der Leidenschaft in mir. Sie sind nachdenklich und ernst geworden. Sie widmen mir Ihre freie Zeit; Ihre Nerven sind gespannt; Sie sind aufgeregt und dann, das heißt jetzt erst, bin ich erschrocken und habe gefühlt, daß mir die Pflicht, stehenzubleiben und zu sagen, was das ist, zufällt. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie liebe, und Sie erwidern dieses Gefühl – hören Sie, was für einen

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