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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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Melodie. Er und sie lauschten diesen Tönen, fingen sie auf und beeilten sich, das, was jeder hörte, dem andern vorzusingen, ohne zu ahnen, daß morgen andere Töne und andere Strahlen erscheinen würden, und am nächsten Tage vergessend, daß das Singen gestern anders gewesen war. Sie kleidete die Ergüsse ihres Herzens in die Farben, die in ihrer Phantasie in dem gegenwärtigen Augenblick leuchteten, glaubte daran, daß sie der Wirklichkeit entsprachen, und beeilte sich in ihrer unschuldigen und unbewußten Eitelkeit, vor den Augen ihres Freundes herrlich geschmückt zu erscheinen. Er glaubte noch mehr an diese Zaubertöne, an das wunderbare Leuchten und bestrebte sich, vor ihr mit seiner Leidenschaft gerüstet zu erscheinen und ihr den ganzen Glanz und die ganze Macht des seine Seele verzehrenden Feuers zu zeigen. Sie logen weder sich selbst noch einander an; sie gaben nur das wieder, was das Herz ihnen sagte, aber seine Stimme drang durch die Phantasie hindurch zu ihnen. Im Grunde war es Oblomow gar nicht darum zu tun, daß Oljga als Cordelia erschien und dieser Gestalt treu blieb oder daß sie einen neuen Weg wählte und sich in eine andere Gestalt verwandelte, wenn sie nur in jenen Farben und Strahlen erschien, in denen sie in seinem Herzen wohnte, wenn es ihm nur wohl dabei war. Und auch Oljga erkundigte sich nicht erst, ob ihr zärtlicher Freund den Handschuh aufheben würde, wenn sie ihn in einen Löwenrachen geworfen hätte, ob er sich ihretwegen in den Abgrund zu stürzen wagte, wenn sie nur die Symptome dieser Leidenschaft sah, wenn er nur ihrem Mannesideale treu blieb, dem Ideal eines Menschen, der durch sie zum Leben erwacht war, wenn nur von dem Strahle ihres Blickes und von ihrem Lächeln das Feuer der Lebenslust in ihm erwachte und er nicht aufhörte, das Ziel seiner Existenz in ihr zu sehen. Und darum spiegelte sich in der für einen Augenblick aufgestiegenen Gestalt Cordelias und im Feuer von Oblomows Leidenschaft nur ein einziger vergänglicher Atemzug, nur ein einziger Morgen und ein einziges launiges Muster der Liebe wieder. Und morgen, morgen leuchtete etwas anderes, das vielleicht ebenso schön, aber trotzdem anders war, auf! ...

Zehntes Kapitel
    Oblomow befand sich im Zustand eines Menschen, der soeben dem Untergang der Sommersonne mit den Augen gefolgt ist und ihre glühenden Spuren bewundert, ohne den Blick vom Abendrot zu wenden, ohne nach rückwärts zu schauen, wo die Nacht herabsinkt, und nur an die morgige Rückkehr der Wärme und des Lichtes denkt. Er lag auf dem Rücken und genoß den letzten Widerhall des gestrigen Beisammenseins. »Ich liebe, ich liebe, ich liebe«, klang es noch in seinen Ohren, viel schöner als Oljgas Gesang. Auf ihm ruhten noch die letzten Strahlen ihres tiefen Blickes. Er suchte dessen Bedeutung zu erforschen und den Grad ihrer Liebe zu bestimmen, und begann schon in Schlaf zu sinken, als plötzlich ...
    Am nächsten Tag stand Oblomow bleich und düster auf; auf seinem Gesicht waren die Spuren einer schlaflosen Nacht zu lesen; die Stirne war voller Furchen; in den Augen war kein Feuer und kein Wunsch. Das Selbstbewußtsein, der frische, belebte Blick, die mäßige, bewußte Schnelligkeit der Bewegungen eines beschäftigten Menschen, alles war verschwunden. Er trank träge Tee, rührte kein einziges Buch an, sondern rauchte nachdenklich eine Zigarre an und setzte sich auf das Sofa. Früher würde er sich hingelegt haben, aber jetzt war er es nicht mehr gewohnt, und es zog ihn nicht einmal zum Kissen hin; aber er stützte sich darauf mit dem Ellbogen, ein Anzeichen, das auf seine frühere Lebensweise hindeutete. Er war mißgestimmt, seufzte manchmal, zuckte plötzlich die Achseln und schüttelte betrübt den Kopf. In ihm arbeitete etwas angestrengt; es war aber nicht die Liebe. Oljgas Gestalt ist vor ihm; doch sie scheint in der Ferne, im Nebel und ohne Strahlen zu schweben, als wäre sie ihm fremd; er blickt sie schmerzlich an und seufzt.
    »Man soll leben wie Gott befiehlt und nicht, wie man will, das ist eine weise Regel, aber ...« Er sann nach. »Ja, man kann nicht so leben, wie man will – das ist klar,« begann in ihm eine düstere, trotzige Stimme zu sprechen: »Man kommt in ein Chaos von Widersprüchen hinein, die kein Menschenverstand, wie tief und kühn er auch sein mag, lösen kann! Gestern hat man etwas gewünscht, strebt heute leidenschaftlich bis zur Ermattung zum Gewünschten hin und errötet übermorgen, weil man gewünscht hat, verwünscht

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