Oblomow
aber äußerlich schloß er sich manchmal dem Chor der Zyniker an, die selbst vor dem Verdacht, keusch zu sein und die Keuschheit zu achten, zitterten, und fügte ihrem wilden Chor auch sein leichtsinniges Wort hinzu. Er stellte sich nie deutlich vor, wieviel ein gutes, wahres, reines Wort wiegt, das in den Strom der menschlichen Rede hineingeworfen wird, was für eine tiefe Biegung es bilden kann; er dachte nicht daran, daß, wenn es kühn und laut ohne falsche Schamröte, mit Überzeugung ausgesprochen wird, es im widrigen Schrei der Satiriker der Gesellschaft nicht untergeht, sondern wie eine Perle in die Tiefe des Lebens sinkt und sich immer eine Muschel findet. Viele bleiben bei einem guten Wort vor Scham glühend stecken und gebrauchen dreist und laut eine leichtfertige Wendung, ohne zu ahnen, daß auch diese unglücklicherweise nicht ohne Folgen verschwindet, sondern eine lange Spur von oft untilgbaren Übeln hinterläßt. Dagegen war Oblomow in seinem Handeln ohne Tadel; kein einziger Fleck oder Vorwurf, mit kaltem, seelenlosem Zynismus vorgegangen zu sein, lastete auf seinem Gewissen. Er konnte die täglichen Gespräche darüber, daß der eine die Pferde, das Möbel, und der zweite eine Frau gegen eine andere eingetauscht habe ... und zu welchen Ausgaben dieser Tausch geführt habe, nicht anhören. Mehr als einmal hatte er um die von den Männern verlorene Würde und Ehre gelitten und um den schmutzigen Fall einer ihm fremden Frau geweint, aber er fürchtete sich vor den Menschen und schwieg. Man mußte es erraten; Oljga erriet es.
Die Männer lachen solche Sonderlinge aus, doch die Frauen erkennen sie sofort; die reinen, keuschen Frauen lieben sie aus Mitgefühl, die verderbten suchen sich ihnen zu nähern, um sich an ihrer Reinheit zu erfrischen.
Der Sommer rückte vor und verging. Die Morgen und die Abende wurden dunkel und feucht. Nicht nur der Flieder, sondern auch die Linden waren verblüht, und auch die Beerenzeit war vorüber. Oblomow und Oljga sahen sich täglich. Er holte das Leben ein, das heißt, er eignete sich alles das an, was er längst nicht mehr verfolgt hatte; er wußte, warum der französische Gesandte Rom verlassen hatte, warum die Engländer ihre Flotte nach dem Osten hinschickten; interessierte sich dafür, wann in Deutschland oder Frankreich eine neue Bahnlinie gebaut werden sollte. Er dachte aber nicht daran, eine Straße aus Oblomowka in den großen Marktflecken anzulegen, ließ sich die Vollmacht von den Behörden nicht bestätigen und beantwortete Stolz' Briefe nicht. Er beschäftigte sich nur damit, was sich in der Sphäre der täglichen Gespräche in Oljgas Haus bewegte, was in den dort gelesenen Zeitungen stand, und verfolgte dank Oljgas Beharrlichkeit ziemlich eifrig die moderne ausländische Literatur. Alles andere ging im Strom seiner Liebe unter. Trotz der häufigen Veränderungen dieser rosigen Atmosphäre blieb der Horizont wolkenlos. Wenn Oljga manchmal über Oblomow und ihre Liebe zu ihm grübelte, wenn diese Liebe ihr freie Zeit und freien Platz im Herzen übrigließ, wenn ihre Fragen in seinem Hirn nicht immer eine befriedigende und rasche Antwort fanden, wenn sein Wille den Anruf ihres Willens nicht beantwortete und wenn er ihre Frische und ihre überschäumenden Lebenskräfte mit einem reglosen, leidenschaftlichen Blick betrachtete, wurde sie von einer bangen Stimmung erfaßt; etwas glitt ihr wie eine kalte Schlange ins Herz, ernüchterte dessen Träume, und die warme Märchenwelt der Liebe verwandelte sich in einen Herbsttag, an dem alle Gegenstände grau erscheinen. Sie suchte zu erforschen, wodurch diese Leere und Unvollständigkeit des Glücks verursacht wurde. Was fehlte ihr? Was brauchte sie? Es war ja ihr Schicksal und ihre Bestimmung, Oblomow zu lieben! Diese Liebe wurde durch seine Sanftheit, seinen reinen Glauben an das Gute, und am meisten durch seine Zärtlichkeit, wie sie sie niemals in den Augen eines Mannes gesehen hatte, gerechtfertigt. Was machte es, daß er nicht jeden ihrer Blicke verständnisvoll erwiderte, daß in seiner Stimme nicht dasjenige, was sie einst halb im Traum und halb im Schlaf gehört hatte, erklang ... Das war Einbildung und Nervosität; wozu sie beachten und grübeln? Und wie hätte sie es endlich beginnen sollen, sich von der Liebe nun gar frei zu machen? Es war geschehen; sie liebte schon, und man konnte ja die Liebe nicht willkürlich wie ein Kleid abwerfen. Man liebt nicht zweimal im Leben, dachte sie. Man sagt, daß es
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