Oblomow
des Himmels wider. Oljgas Ansichten über das Leben, über die Liebe, über alles, wurden noch klarer und bestimmter. Sie blickte sicherer als früher um sich und ließ sich durch die Zukunft nicht einschüchtern; in ihr entwickelten sich neue Seiten des Verstandes und neue Charakterzüge. Ihr Wesen äußerte sich bald in poetischer Vielfältigkeit und Tiefe, bald regelmäßig, klar, ruhig und natürlich ... Sie besaß eine Beharrlichkeit, welche nicht nur das Schicksal, sondern sogar Oblomows Apathie und Trägheit bekämpfte. Sowie sie nur einen Vorsatz gefaßt hatte, begann sie mit aller Kraft zu arbeiten. Dann sprach sie von nichts anderem. Und wenn sie es nicht tat, sah man doch, daß sie nur an das eine dachte, daß sie es nicht vergaß, es nicht beiseite schob und sich nicht verwirren ließ, sondern sich alles überlegte und das, was sie suchte, auch erreichen würde. Er konnte nicht begreifen, wo sie diese Kraft, diesen Takt, zu erkennen und zu erfahren, wie alles zu tun war, hernahm, welches Ereignis auch eintreffen mochte. Das kommt daher, dachte er, weil die eine Braue bei ihr niemals gerade liegt, sondern sich immer ein wenig in die Höhe hebt, so daß darüber eine feine, kaum merkbare Falte liegt ... Dort, in dieser Falte, verbirgt sich ihre Beharrlichkeit. Wie ruhig und hell ihr Gesichtsausdruck auch sein mochte, glättete sich diese Falte doch nie, und die Braue legte sich nie gerade hin. Sie besaß aber keine äußere Kraft, keine schroffen Manieren und Anlagen. Die Energie in ihren Vorsätzen entfernte sie nicht auf einen Schritt aus der Sphäre der Weiblichkeit. Sie wollte nicht gefeiert sein, einen ungeschickten Verehrer mit schroffen Worten abweisen und den ganzen Salon durch die Beweglichkeit ihres Verstandes in Erstaunen setzen, damit jemand aus der Ecke »Bravo! Bravo!« rufen sollte. Sie besaß sogar die vielen Frauen eigene Schüchternheit; sie zitterte zwar nicht, wenn sie eine Maus sah, fiel nicht in Ohnmacht, wenn ein Sessel umgeworfen wurde, fürchtete sich aber, sich weit vom Hause zu entfernen, kehrte um, wenn sie einen Bauer sah, der ihr verdächtig vorkam, und schloß ganz nach Frauenart das Fenster, damit keine Diebe sich ins Zimmer schleichen konnten. Dabei war sie dem Gefühl des Mitleids so zugänglich! Es war nicht schwer, bei ihr Tränen hervorzurufen; ihr Herz war leicht erreichbar. In der Liebe war sie so zärtlich, in ihren Beziehungen allen gegenüber war so viel Sanftheit und freundliche Aufmerksamkeit enthalten – mit einem Wort, sie war ein Weib! Manchmal leuchtete in ihren Worten ein Funken von Sarkasmus auf, doch darin spiegelte sich eine solche Grazie, ein so sanfter, liebenswürdiger Verstand wider, daß jeder mit Freuden seine Stirn hinhalten würde! Dafür fürchtete sie sich nicht vor Zugluft, ging in der Dämmerung leicht gekleidet aus – das schadete ihr nicht! Sie erfreute sich einer blühenden Gesundheit; sie aß mit Appetit; sie hatte ihre Lieblingsgerichte; sie wußte auch, wie sie zubereitet wurden. Das alles wußten auch viele andere, aber diese vielen konnten nicht entscheiden, was in dem einen oder anderen Fall zu tun war, und wenn sie es wußten, war es doch nur Angeeignetes, Nachgeäfftes, von dem sie sich keine Rechenschaft gaben, warum sie es so und nicht anders machten, und bei dem sie sich auf die Autorität einer Tante oder Cousine beriefen. Viele wußten nicht einmal, was sie wollten, und wenn sie sich auch zu etwas entschlossen, taten sie es so träge, als wären sie im Zweifel, ob es nötig sei oder nicht. Das kam wahrscheinlich daher, weil ihre Brauen in geradem Bogen lagen, mit den Fingern zurechtgezupft waren und weil sie keine Falte an der Stirn hatten.
Zwischen Oblomow und Oljga hatten sich geheime, für andere unsichtbare Beziehungen entwickelt; jeder Blick, jedes unbedeutende Wort, das in Anwesenheit anderer gesprochen wurde, besaß für sie einen besonderen Sinn. Sie sahen in allem eine Andeutung auf ihre Liebe. Und Oljga flammte manchmal trotz ihrer Sicherheit auf, wenn bei Tische von irgendeiner Liebe, die an die ihrige erinnerte, erzählt wurde, und da alle Liebesgeschichten einander sehr ähnlich sind, mußte sie oft erröten. Und Oblomow nahm sich, bei irgendeiner Andeutung auf dieses Thema, vor Verlegenheit einen solchen Haufen Gebäck, daß er irgend jemand sicher zum Lachen brachte. Sie wurden wachsam und vorsichtig. Manchmal erzählte Oljga der Tante nicht, daß sie Oblomow gesehen hatte, und er sagte zu Hause, daß er in die
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