Oblomow
darum?«
»Ich sage ja, im Fall du einen andern lieben würdest ...«
»Einen andern! Du bist verrückt! Wieso, wenn ich dich liebe? Wirst denn du eine andere lieben?«
»Warum hörst du mir zu? Ich spreche Gott weiß was, und du glaubst daran! Ich wollte ja ganz etwas anderes sagen ...«
»Was wolltest du denn sagen?«
»Ich wollte sagen, daß ich dir gegenüber schuldig bin, und schon seit langer Zeit ...«
»Worin besteht deine Schuld? Wieso? Du liebst mich nicht? Du hast vielleicht gescherzt? Sprich schnell!«
»Nein, nein, das ist es nicht!« sagte er niedergeschlagen.
»Weißt du ...« begann er unschlüssig, »wir sehen uns ... heimlich ...«
»Heimlich? Warum heimlich? Ich sage meiner Tante fast jedesmal, daß ich dich gesehen habe ...«
»Wirklich, jedesmal?« fragte er unruhig.
»Was ist denn Schlimmes dabei?«
»Das ist meine Schuld, ich hätte dir längst sagen sollen, daß man so etwas nicht ... tut ...«
»Du hast es gesagt.«
»Ich habe es gesagt? Ja! Ich habe es tatsächlich ... angedeutet. Ich habe meine Pflicht also erfüllt.«
Er faßte Mut und freute sich, daß Oljga ihm so leicht die Last der Verantwortung abnahm.
»Was noch?« fragte sie.
»Noch ... Das ist alles.«
»Das ist nicht wahr,« bemerkte Oljga mit Bestimmtheit, »du hast noch etwas; du hast mir nicht alles gesagt.«
»Ja, ich dachte ...« begann er, indem er einen nachlässigen Ton anzuschlagen bestrebt war, »daß ...«
Er schwieg; sie wartete.
»Daß wir seltener zusammenkommen sollten ...«
Er blickte sie schüchtern an.
Sie schwieg.
»Warum?« fragte sie nach einer Weile.
»An mir nagt eine Schlange: mein Gewissen ... Wir bleiben so lange allein; ich bin erregt, mein Herz hört zu schlagen auf; du bist auch unruhig ... ich fürchte mich ...« sprach er mit Mühe zu Ende.
»Wovor?«
»Du bist jung, Oljga, und kennst alle Gefahren nicht. Manchmal hat der Mensch keine Macht über sich; dann beherrscht ihn etwas Höllisches, Finsternis senkt sich auf seine Seele herab, und aus seinen Augen schießen Blitze. Die Klarheit des Geistes trübt sich; die Achtung der Reinheit und Unschuld gegenüber wird von einem Wirbelwind fortgeweht; der Mensch verliert die Besinnung, ihn sengt die Leidenschaft; er hört auf über sich zu verfügen – und dann öffnet sich vor ihm ein Abgrund ...«
Er fuhr sogar zusammen.
»Was folgt daraus? Er soll sich nur öffnen!« sagte sie, ihn groß anblickend.
Er schwieg; entweder hatte er nichts mehr zu sagen, oder er hielt es für überflüssig.
Sie blickte ihn lange an, als wollte sie in seinen Stirnfalten wie in geschriebenen Zeilen lesen, und dachte dabei an jedes Wort und jeden Blick von ihm; sie ließ die ganze Geschichte ihrer Liebe im Geiste an sich vorübergleiten, gelangte bis zum dunklen Abend im Garten und errötete plötzlich.
»Du sprichst Unsinn!« bemerkte sie schnell, indem sie seitwärts blickte, »ich habe in deinen Augen nie Blitze gesehen ... Du schaust mich meistens so wie ... meine Kinderfrau Kusminischna an!« fügte sie lachend hinzu.
»Du scherzest, Oljga, ich spreche aber ernsthaft ... und habe noch nicht alles gesagt.«
»Was willst du noch sagen?« fragte sie. »In was für einen Abgrund schaust du hinab?«
Er seufzte.
»Daß wir uns nicht ... allein ... sehen dürfen ...«
»Warum?«
»Es ist nicht gut ...«
Sie sann nach.
»Ja, man sagt, daß es nicht gut ist,« sagte sie nachdenklich, »aber weshalb?«
»Was wird man sagen, wenn man es erfährt, wenn sich das verbreitet ...«
»Wer wird denn etwas sagen? Ich habe keine Mutter; nur sie könnte mich fragen, warum ich mit dir zusammenkomme, und nur ihr gegenüber würde ich statt einer Antwort aufweinen und sagen, daß weder ich noch du etwas Böses tun. Sie würde mir glauben. Wer denn sonst?« fragte sie.
»Die Tante,« sagte Oblomow.
»Die Tante?«
Oljga schüttelte traurig und verneinend den Kopf.
»Sie fragt mich nie. Wenn ich für immer fortginge, würde sie mich auch nicht suchen und ausfragen, und ich würde ihr nicht mehr sagen kommen, wo ich war und was ich getan habe. Wer denn noch?«
»Die andern alle ... Neulich hat Sonitschka dich und mich lächelnd angeblickt und auch all die Herren und Damen, die mit ihr waren.«
Er erzählte ihr, in welcher Unruhe er sich seitdem befand. »Solange sie nur mich anblickte,« fügte er hinzu, »hat's mir nichts gemacht, als aber derselbe Blick auf dich gerichtet wurde, erstarrten mir die Hände und Füße ...«
»Nun? ...« fragte sie
Weitere Kostenlose Bücher