Oblomow
niemanden an und lebt für sich allein. Nicht ich, sondern Sie und Michej Andreitsch habt ihn in die Wohnung gelockt.«
Er gab ihr zehn Rubel und sagte, er besäße nicht mehr. Als er sich die Sache aber mit dem Gevatter in der Kneipe überlegt hatte, beschloß er, man dürfe die Schwester und Oblomow nicht ihrem Schicksal überlassen, die Sache könnte sonst noch bis zu Stolz dringen, dieser würde kommen, sich über alles erkundigen, und womöglich alles umändern, so daß sie nicht Zeit hätten, die Schuld einzuheben, obwohl das »eine gesetzliche Sache« war; es war ein so durchtriebener Deutscher! Er begann ihnen fünfzig Rubel monatlich zu geben und nahm sich vor, dieses Geld aus Oblomows Einkünften im dritten Jahre zurückzunehmen, dabei erklärte er aber der Schwester und gab ihr sein Wort darauf, daß er auch nicht eine Kopeke mehr hergeben würde, und rechnete ihr vor, was für eine Kost sie sich erlauben dürften, wie sie die Ausgaben verringern sollten, bestimmte sogar, welche Gerichte sie kochen sollte, rechnete aus, wieviel sie für die Hühner und für das Kraut bekommen konnte, und entschied, daß man für alles das sehr gut leben konnte.
Agafja Matwejewna dachte zum erstenmal im Leben über etwas anderes als über die Wirtschaft nach und weinte zum erstenmal nicht aus Ärger über Akulina, weil sie Geschirr zerschlagen hatte, und nicht, weil der Bruder über einen zu wenig gekochten Fisch schimpfte; sie blickte zum ersten Male drohender Not, die aber nicht sie, sondern Ilja Iljitsch bedrohte, in die Augen. Wie würde dieser Edelmann (überlegte sie sich) statt Spargel – Rüben mit Butter, statt Haselhühner – Hammelfleisch, statt Forellen und bernsteinfarbenes Störfleisch – gesalzenen Zander und vielleicht Sulz aus dem Krämerladen essen? ... Entsetzlich! Sie dachte die Sache nicht bis zu Ende, sondern zog sich eilig an, nahm einen Wagen und fuhr, trotzdem es weder Weihnachten noch Ostern war und kein Familienessen stattfand, früh des Morgens zu den Verwandten ihres Mannes, von Sorge erfüllt, hin, um an sie in ungewohnten Worten die Frage zu richten, was sie tun sollte, und um bei ihnen Geld zu leihen. Sie hatten viel davon, sie würden ihr sofort welches geben, wenn sie erfuhren, daß es für Ilja Iljitsch war. Wenn es sich um Tee oder Kaffee für sie selbst, um Schuhe und Kleider für die Kinder oder um ähnliche Launen gehandelt hätte, würde sie kein Wort gesagt haben, sie brauchte es aber in höchster Not, wo es bis ans Messer ging: um Ilja Iljitsch Spargel und Haselhühner zu kaufen, er liebte auch so französische Erbsen ... Man war dort aber erstaunt und gab ihr kein Geld, sondern sagte, daß, wenn Ilja Iljitsch irgendwelche Gold- oder Silbersachen und sogar Pelz hatte, man es versetzen konnte und daß es solche Wohltäter gab, welche den dritten Teil der gebetenen Summe vorstreckten, bis er wieder Geld aus dem Gute bekam. Dieser praktische Rat würde zu einer anderen Zeit an der genialen Hausfrau vorübergeflogen sein, ohne ihre Gedanken irgendwie zu berühren, und es würde kein Mittel gegeben haben, ihr das klarzumachen; jetzt faßte sie alles mit dem Verstande des Herzens auf und wog ... ihre Perlen, die sie als Mitgift bekommen hatte. Ilja Iljitsch trank, ohne etwas zu ahnen, am nächsten Tage Johannisbeerschnaps, aß ausgezeichneten Lachs, sein geliebtes Gekröse und ein weißes, frisches Haselhuhn dazu. Agafja Matwejewna und ihre Kinder aßen mit den Dienstboten zusammen Schtschi und Brei, und sie trank, nur um Ilja Iljitsch Gesellschaft zu leisten, zwei Schalen Kaffee. Bald holte sie aus einem gewissen Koffer ihre Kette hervor, dann das Silber und den Pelz ... Dann kam der Zeitpunkt, in dem das Geld aus dem Gute kam; Oblomow gab ihr das ganze. Sie löste die Perlen ein und bezahlte die Zinsen für die Halskette, das Silber und den Pelz, begann ihm wieder Spargel und Haselhühner zu kochen und trank nur seinetwegen Kaffee. Die Perlen wurden wieder auf ihren Platz hingelegt. So spannte sie von Woche zu Woche ihre Kräfte an, quälte sich ab und tat alles, was sie konnte; sie hatte ihren Schal und das Sonntagskleid verkauft, trug jetzt immer ihr altes Kattunkleid mit den kurzen Ärmeln und deckte sich am Sonntag den Hals mit einem alten, abgetragenen Tuche zu.
Darum war sie abgemagert, hatte eingefallene Augen und brachte Ilja Iljitsch eigenhändig das Frühstück. Sie hatte sogar die Kraft, eine fröhliche Miene aufzusetzen, wenn Oblomow ihr erklärte, morgen würde
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