Oblomow
verdienen?« fügte sie flüsternd hinzu und blickte ihn verschämt an.
Er glaubte in diesem Blick wieder das Aufleuchten von noch nie dagewesener Freundschaft zu sehen, und er erbebte wieder vor Glück.
»Beeilen Sie sich nicht«, fügte er hinzu, »sagen Sie, was ich wert bin, wenn Ihre Herzenstrauer, diese Anstandstrauer, zu Ende ist. Mir hat dieses Jahr nicht wenig gebracht. Und jetzt entscheiden Sie nur die Frage, ob ich fahren oder dableiben soll?«
»Hören Sie, Sie kokettieren mit mir«, sagte sie plötzlich fröhlich.
»O nein«, bemerkte er bedeutungsvoll, »das ist nicht mehr dieselbe Frage, sie hat jetzt einen anderen Sinn: in welcher Eigenschaft bleibe ... ich da?«
Sie wurde plötzlich verlegen.
»Sie sehen, daß ich nicht kokettiere!« scherzte er. »Wir müssen ja nach dem heutigen Gespräch einander anders gegenüberstehen; wir sind beide nicht mehr dieselben wie gestern.«
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie noch verlegener.
»Erlauben Sie mir, Ihnen zu raten?«
»Sprechen Sie ... ich gehorche Ihnen blindlings!« fügte sie mit fast leidenschaftlicher Demut hinzu.
»Heiraten Sie mich in der Erwartung, bis ›er‹ kommt!«
»Ich wage es noch nicht ...« flüsterte sie, das Gesicht mit den Händen bedeckend, erregt, aber glücklich.
»Warum wagen Sie denn nicht?« fragte er auch flüsternd und ihren Kopf an sich ziehend.
»Und die Vergangenheit?« flüsterte sie wieder, ihm den Kopf wie einer Mutter auf die Brust legend.
Er zog ihr die Hände leise vom Gesicht fort, küßte sie auf den Kopf, bewunderte lange ihre Verlegenheit und blickte entzückt auf die ihr in die Augen getretenen und wieder trocknenden Tränen.
»Sie wird verblassen wie Ihr Flieder!« schloß er. »Sie haben gelernt, jetzt ist die Zeit zum Genießen gekommen. Jetzt beginnt das Leben; überlassen Sie mir Ihre Zukunft und denken Sie an nichts – ich übernehme die Verantwortung für alles. Gehen wir zur Tante.«
Stolz ging spät nach Hause. Ich habe das, was mir zukommt, gefunden, dachte er, die Bäume, den Himmel, den See und selbst den vom Wasser aufsteigen den Nebel mit verliebten Augen betrachtend. Es ist gekommen! Wieviel Jahre dürste ich nach Liebe, gedulde mich und spare meine Seelenkräfte! Wie lange habe ich gewartet – jetzt ist alles belohnt; das ist es, das höchste menschliche Glück!
Alles trat jetzt in seinen Augen hinter dem Glück zurück, das Kontor, der Wagen des Vaters, die Gemslederhandschuhe, die fettigen Rechnungen, das ganze geschäftliche Leben. In seiner Erinnerung erstand nur das duftende Zimmer seiner Mutter, die Variationen von Herz, die fürstliche Galerie, die blauen Augen und gepuderten kastanienbraunen Haare, das alles wurde von einer zarten Stimme, von Oljgas Stimme, übertönt; er hörte im Geiste ihren Gesang ... »Oljga ... mein Weib!« flüsterte er, in Leidenschaft erbebend. »Alles ist gefunden, ich habe nichts mehr zu suchen und brauche nirgends mehr hinzugehen!« Und er ging sinnend und vom Glück betäubt nach Hause, ohne den Weg und die Straßen zu beachten ...
Oljga folgte ihm lange mit den Augen, öffnete dann das Fenster und atmete ein paar Minuten lang die nächtliche Frische ein; ihre Erregung hatte sich ein wenig beruhigt, ihre Brust atmete gleichmäßiger. Sie richtete die Augen auf den See und in die Ferne und sann so still und tief nach, als wäre sie im Schlaf. Sie wollte das, was sie dachte und fühlte, auffangen, es gelang ihr aber nicht. Die Gedanken wogten wie Wellen, und das Blut floß so rhythmisch durch ihre Adern. Sie empfand großes Glück und konnte nicht bestimmen, wo sich sein Ursprung und seine Grenzen befanden und was es war. Sie dachte, warum es ihr wohl so still, friedlich ruhig und wohl war, während ... »Ich bin seine Braut!« flüsterte sie.
Ich bin Braut! denkt ein Mädchen, vor Stolz bebend, beim Eintreten dieses Momentes, der ihr ganzes Leben beleuchtet, sie wächst in die Höhe und schaut von da auf den dunklen Pfad herab, auf dem sie gestern einsam und unbemerkt gewandert ist.
Warum bebte Oljga nicht? Auch sie war unbemerkt auf einsamem Pfad gewandelt, auch ihr war auf dem Kreuzweg er begegnet, hatte ihr die Hand gereicht, aber sie nicht ins Licht der blendenden Strahlen, sondern gleichsam zu einem weiten Fluß, zu unabsehbaren Feldern und freundlich lächelnden Hügeln geführt. Sie blinzelte nicht vor Glanz, ihr Herz erstarrte nicht, und ihre Phantasie flammte nicht auf. Sie ließ den Blick mit stiller Freude auf den Wogen des
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