Obsession (German Edition)
Blick hinein bestätigt meinen Verdacht, dass wir die nächsten Tage wohl im Restaurant essen werden, wenn wir nicht noch einmal gemeinsam einkaufen – Brix hat für jedes Gericht mindestens die Hälfte vergessen. Andererseits habe ich auch keine Lust, noch einmal einkaufen zu gehen, denn das bedeutet Stress – erst recht um diese Zeit, und mit den Zutaten, die er eingekauft hat, kann ich eigentlich mit verändertem Speiseplan zumindest für drei, vier Tage kochen.
Also entscheide ich mich spontan für den See und gegen den Supermarkt, koche Wasser, brühe mir eine Tasse Tee auf, esse einen Apfel, ziehe mich dann an, packe ein paar Sachen für unseren Tag am See und düse zusammen mit Brix in unserem Wagen in Richtung Süden, zum Erlensee nach Bickenbach, wo mitten im Feld ein riesiger wunderschöner Waldsee mit Insel gelegen ist, den kaum einer kennt und wo es unzählige versteckte Winkel gibt, in denen uns keiner sieht.
Es ist heiß draußen, über dreißig Grad im Schatten, das Verdeck ist offen, und wir lassen uns den Fahrtwind ordentlich über die Köpfe jagen. Dazu die passende Musik, und schon ist es gar nicht mehr so schlimm, dass es schon nach sechs Uhr abends und die Autobahn um das Darmstädter Kreuz herum viel zu stark befahren ist. Wir fluchen gemeinsam über die Idioten, die abwechselnd eine, zwei oder sogar alle drei Fahrspuren durch Herumgeschleiche belegen, lachen uns beinahe kaputt, als wir uns direkt am Darmstädter Kreuz, dort wo die A5 Richtung Heidelberg abzweigt, sehr genau an die erlaubten 100 km/h halten und uns ein schwarzer Mercedes mit Münchner Kennzeichen wild hupend und viel zu schnell überholt und keine vierzig Meter später ein greller roter Blitz unseren Autofahreralltag erfreut ... genau an dieser Stelle hängt nämlich ein in beide Fahrtrichtungen drehbarer Starenkasten.
Brix, der bisher einen Wrangler-Jeep gefahren hat, und ich, der zwischen Gar-kein-Auto und Limousine hin- und hergependelt bin, haben uns in einer ersten gemeinsamen Abstimmung für einen 5er BMW-Kombi entschieden – aus Sparsamkeitsgründen für einen Diesel, des Fahrspaßes wegen für einen 535er, einer 3,5-Liter-Sechszylinder-Maschine mit ausreichend Power trotz des relativ niedrigen Verbrauchs. Insofern sind natürlich andere Fahrleistungen als mit dem Jeep möglich, aber sie machen mindestens genauso viel Spaß. Und mit dem BMW sind wir natürlich auch viel bequemer unterwegs! Und so ist die Fahrt zum See eher kurzweilig, wir benutzen natürlich auch noch einen der zahlreichen halblegalen Feldwege zum See, parken an »unserer Stelle« und schlagen uns die wenigen Meter durchs Unterholz bis hin zum Ufer des Erlensees, der ein Moorsee inmitten eines kleinen Wäldchens ist, was seine Lage wirklich nur für den ortskundigen Einheimischen erahnen lässt. Dort breiten wir uns aus und richten uns auf den Aufenthalt bis in die späten Abendstunden ein.
Es ist einfach herrlich, so nah am Wasser zu liegen, während es trotz der fortgeschrittenen Stunde immer noch tüchtig warm ist. So warm, dass mir binnen weniger Minuten der Schweiß von der Haut perlt. Der Erlensee wird unterirdisch gespeist, weswegen er zum Abfluss hin eine leichte Strömung hat. Diese Strömung ist es, die das Wasser einer Brandung gleich immer und immer wieder plätschernd ans Ufer schwappen lässt, was bei mir mit jedem Plätschern erneut den Eindruck von Meeresrauschen erweckt. Und Meeresrauschen macht mich schläfrig, weshalb es nicht wirklich lange dauert, bis ich eingeschlafen bin und von einem Abend am Meer träume, den Sternen am Himmel über uns und dem Mond am Firmament. Dass Brix die Wetten und Spielchen, mit denen wir in der letzten Zeit unserer Beziehung die ganz besondere Würze geben, schon wieder ausfeilt, ahne ich zum Glück nicht.
Aber was unsere Wetten betrifft, bin ich auch kein Waisenknabe, und so wird mir sicher auch wieder die passende Retourkutsche zu Brix’ Ergüssen einfallen.
10
Brix
Shahin ist eingeschlummert. Ich sehe ihn an, betrachte ihn eingehend. Ihn und die Schweißtropfen auf seiner cremefarbenen Haut. Ich beobachte, wie sich die Tropfen auf seinem Rücken sammeln. Mhm ... Ich habe das dringende Bedürfnis, seinen Rücken mit Küssen zu bedecken, mit sanften, federleichten Küssen, ihn zu schmecken, seine unendlich weiche Haut mit meinen Lippen zu berühren. Allerdings würde er davon aufwachen. Soll ich oder soll ich nicht? Die untergehende Sonne taucht den See in warmes, rotorangefarbenes Licht.
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